Die Patienten der medizinisch-psychosomatischen Schön-Klinik in Bad Bramstedt feiern Weihnachten nicht zu Hause.

Bad Bramstedt. Ein winziger, selbst gemalter Weihnachtsbaum steht ganz oben auf dem Pappdeckel von Lisas Patientenakte. Die 21-Jährige mit den lila Haaren und dem strahlenden Lächeln ist froh über dieses kleine Zeichen, das symbolisiert, dass Lisa Weihnachten in der Klinik verbringen darf. "Ich habe mich bewusst dafür entschieden", sagt sie. Am 21. November haben ihre Therapien in der medizinisch-psychosomatischen Schön-Klinik begonnen, zwölf Wochen wird Lisa voraussichtlich in Bad Bramstedt bleiben. Wer sie zwischen Weihnachtsbaum und Adventsgestecken in der Krankenhaus-Cafeteria bei einem Cappuccino trifft, kann nur mit Mühe glauben, mit welcher Diagnose sie eingewiesen wurde. "Schwere Depression mit Suizidgefährdung und Borderline", sagt Lisa.

Sie ist sicher: Stress im Advent, die Familie und ein Weihnachtsfest im Wohnzimmer würden sie überfordern. "Ich würde abrutschen", sagt sie. Lisa beschreibt klar und präzise, wie ihre Krankheit in ihr Leben eingreift. Doch ihr Verstand ist gegenüber ihren Gefühlen ohnmächtig.

In anderen Krankenhäusern bleiben am Jahresende nur die Patienten, die aus medizinischen Gründen zwingend stationär behandelt werden müssen. Wer kann, feiert Weihnachten zu Hause. Die Krankentransportunternehmen sind pausenlos im Einsatz und holen die Patienten aus den Kliniken. Die Schön-Klinik in Bad Bramstedt kennt diesen Patientenexodus nicht. Am 24. Dezember ist das Krankenhaus fast zu 100 Prozent belegt.

"Es gibt viele Patienten, die gern Weihnachten hier sind", sagt Chefarzt Michael Armbrust. In vielen Fällen sei der Heilige Abend zu Hause für einen Menschen mit einer psychischen Erkrankung unerträglich. Einsamkeit oder kaputte Familien - Auslöser für einen seelischen Absturz liefert ausgerechnet das Fest der Liebe in Mengen. "Manche fragen sich: Gehe ich in die Klinik oder betrinke ich mich?", sagt der Psychiater und Psychotherapeut. Er hat beobachtet, dass viele Patienten versucht haben, Weihnachten zu Hause zu feiern und eine seelische Katastrophe erlebten.

Wichtig ist, während der Feiertage keinen Leerlauf zu haben

Zwar kommt kein Patient ausschließlich wegen des Weihnachtsfests in die Klinik, doch viele versuchen, ihren Aufenthalt so zu planen, dass er die Feiertage und den Jahreswechsel einschließt - so wie Lisa. Den 24. Dezember hat die examinierte Krankenpflegerin im vergangenen Jahr mit Senioren verbracht, mit ihnen gefeiert und sie betreut. Seit Februar ist die junge Frau krankgeschrieben. In diesem Jahr gehört sie selbst zu den Menschen, die an den Feiertagen auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. "Wichtig ist, nicht allein zu sein und keinen Leerlauf zu haben", sagt Lisa. "Ich mache mir einen Plan."

Zu Hause versteht nicht jeder, was eine psychische Krankheit anrichten kann

Die 33 Jahre alte Nicole leidet an Borderline und einer Persönlichkeitsstörung. Depressionen sind die Folge. "Weihnachten ist eine gefährliche Zeit für Gefühle", sagt sie. "Hier zu sein, ist die beste Lösung." Nicole bleibt voraussichtlich acht Wochen in Bad Bramstedt. Sie liebe ihre Familie und denke oft an sie. "Aber sie tut mir einfach nicht gut", sagt sie. Zu Hause würde sich Nicole fühlen, als würde sie nicht dazu gehören. Außerdem versteht dort nicht jeder, was eine psychische Krankheit im Leben eines Menschen alles anrichten kann.

Nicole feiert bereits zum zweiten Mal Weihnachten in der Schön-Klinik. "Man wird hier toll aufgefangen", sagt sie. Alle Patienten versuchen, sich festlich zu kleiden. Ausnahmsweise brennen Heiligabend im Speisesaal Kerzen. Auf ihrer Station hat Nicole mit anderen Patienten einen Julklapp organisiert. "Sonst würden manche von denen gar kein Geschenk bekommen", sagt sie. Zu Weihnachten hat sie erlebt, dass die Menschen in der Klinik noch enger zusammenrücken. Zu ihren Erfahrungen gehört aber auch, dass Patienten zusammenbrechen, weinen und die Hilfe des therapeutischen Bereitschaftsdienstes brauchen, der auch während der Feiertage im Dienst ist.

Auch Peter Braukmann wird Heiligabend arbeiten. Wochenlang hat der Service-Chef der Klinik mit seiner Kollegin Irene Patzelt das Programm vorbereitet und sich darauf eingestimmt, sich auch in diesem Jahr als Weihnachtsmann zu verkleiden und Geschenke zu verteilen. Essen vom Feinsten gehört in der Klinik zum Programm am Heiligen Abend und zu den Feiertagen. Dieses Jahr fährt die Küche bei Kerzenschein und gedimmtem Licht um 17 Uhr ein Büfett inklusive Holsteiner Ente in Orangensoße auf, ähnlich verlockend sieht der Speiseplan am 25. und 26. Dezember aus. Das Weihnachtsmenü hat einen so guten Ruf, dass sich in den vergangenen Jahren Besucher aus der Stadt in die Klinik geschlichen haben, um dort festlich zu essen. Inzwischen muss jeder Patient des weihnachtlich geschmückten Speisesaals am 24. Dezember seinen Zimmerausweis vorlegen.

Um 19.30 Uhr beginnt das Weihnachtsprogramm mit Liedern und Geschichten. Wer will, darf selbst vorlesen. Um 22.45 Uhr starten auf Klinikkosten die Taxen zur Christmette im Stadtzentrum. Auch für Silvester wird Braukmann das Programm vorbereiten. "Das Opfer, an beiden Tagen zu arbeiten, lohnt sich", sagt er. "Das ist eine dankbare Aufgabe."

Um Weihnachten in der Klinik zu bestehen und - wenn es gut läuft - das Programm genießen zu können, habe sie sich innerlich vorbereitet, sagt Nicole. In ihrer Gruppe haben die Mitglieder die schlimmsten Szenarien schon einmal durchgespielt. Das Gespräch stand unter dem Motto "Wie versaue ich mir Weihnachten". "Man kommt an Weihnachten nicht vorbei", sagt Nicole. "Das gehört zum Leben dazu." Freut sie sich auf Weihnachten? "Nein, wenn ich mich freuen würde, wäre ich nicht hier."

Die Geschenke kommen per Post: Ohrenschützer und Süßigkeiten

Lisa freut sich auf das gute Essen und auf das kleine festliche Programm mit den anderen Patienten ihrer Station. Aber die Angst vor dem "Abrutschen" bleibt: "Die Gefahr ist groß, weil Weihnachten etwas Besonderes ist." Heiligabend wird sie mit ihrer Familie telefonieren und weiß schon jetzt, dass sie sie vermissen wird. "Wichtig ist, dass ich keinen Streit im Hintergrund höre", sagt Lisa.

Ihre Geschenke sind mit der Post gekommen: drei Paar Ohrenschützer und Süßigkeiten. Wenn sie nach Hause kommt, wird ein neuer Kleiderschrank in ihrem Zimmer stehen. Nächstes Jahr will sie Weihnachten nicht in der Klinik verbringen. "Dann feiere ich zu Hause", sagt sie und fügt etwa unsicher hinzu: "Das hoffe ich sehr."