Das Frauenhaus in Norderstedt muss immer mehr Frauen abweisen, weil Bewohnerinnen keine andere Bleibe finden. Grund: Der Wohnungsmarkt.

Norderstedt. Nadja Ebert (Name geändert) ist gut vorbereitet. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein Leitz-Ordner voller wichtiger Papiere. Die Abneigung gegen den Papierkram ist der 35-Jährigen anzusehen. Geht es um ihre Vergangenheit, hat sie das notwendige Übel trotzdem immer dabei. Fein säuberlich abgeheftet ist darin ihr Leben, wie es sich für die Behörden darstellt: Belege für ihr kleines Einkommen aus dem Putzjob, für die Leistungen, die sie zusätzlich vom Jobcenter erhält, für ihr Leben im Frauenhaus und vor allem: Seiten über Seiten, die ihre quälend lange Wohnungssuche dokumentieren.

Wird Nadja Ebert nach der Geschichte hinter den staubigen Papieren gefragt, weicht die Tatkraft aus ihrem sonst so energischen Auftreten. Zögerlich denkt sie einen Moment nach. Dann erst antwortet sie. Begonnen hat alles vor ein paar Jahren mit der Gewalt ihres Mannes. Irgendwann habe er angefangen, ihre mittlerweile 15 und 16 Jahre alten Töchter zu schlagen. "Da bin ich abgehauen", sagt Nadja Ebert. Geflüchtet ist sie ins Frauenhaus Norderstedt. Eine Freundin hatte dort für sie angerufen und die junge Familie ohne Nadja Eberts Wissen untergebracht.

Dass im Norderstedter Frauenhaus auch Platz für sie war, ist dabei durchaus keine Selbstverständlichkeit. "In letzter Zeit müssen wir immer mehr Frauen in Not abweisen und in andere Einrichtungen weitervermitteln", sagt Zehra Schüren, stellvertretende Leiterin des Frauenhauses. Der Grund: Viele der Bewohnerinnen sind neuerdings gezwungen, länger zu bleiben als es nötig wäre. Ihre Suche nach bezahlbaren Wohnungen in Norderstedt bleibt immer häufiger ohne Erfolg.

In Norderstedt tritt das Problem besonders zu Tage. Hier gibt es schon seit Jahren nicht genug bezahlbaren Wohnraum mehr. Außerdem sind viele Bewohnerinnen des Frauenhauses besonders in den ersten Monaten nach ihrem Auszug auf Hilfe vom Staat angewiesen. Ausgerechnet in Norderstedt wurden aber die Grenzwerte für Mieten von Arbeitslosengeld-Empfängern gesenkt, während sie im übrigen Kreisgebiet angehoben wurden. War für eine dreiköpfige Familie bisher noch eine Monatsmiete von 584,50 Euro angemessen, finanziert das Jobcenter die gleiche Wohnung seit September vergangenen Jahres nur noch, wenn sie nicht mehr als 525 Euro im Monat kostet - inklusive Betriebskosten. Das macht es für die Betroffenen noch schwerer, eine Wohnung zu finden.

Nadja Ebert ist dafür ein extremes Beispiel. Den Großteil ihres Lebensunterhalts verdient sie sich selbst. "Jeden Tag stehe ich um 4 Uhr auf", sagt sie. Dann geht sie in einer großen Hamburger Firma putzen. Zum Leben reicht das Geld trotzdem nicht, deshalb bekommt sie vom Jobcenter einen Zuschuss. Inklusive Kindergeld hat sie so knapp 1800 Euro im Monat zur Verfügung.

Als sie im November 2011, rund ein halbes Jahr nachdem sie ins Frauenhaus geflüchtet war, anfing, nach einer kleinen Wohnung für sich und ihre zwei Töchter zu suchen, erntete sie vor allem eins: Absagen. Absagen von den Eigentümern der Wohnungen, die nicht an Empfänger von Arbeitslosengeld vermieten wollen. Absagen aber auch vom Jobcenter. "Einmal hatte ich endlich eine Wohnung gefunden", sagt Nadja Ebert. "Die Miete lag nur 3,90 Euro über dem neuen Grenzwert. Das Jobcenter lehnte trotzdem ab.

Mit der Zeit wuchs die Verzweiflung auch bei den beiden Töchtern. Zu der Zeit lebten sie mit ihrer Mutter in einem 15 Quadratmeter großen Zimmer mit Etagenbetten. Ein Albtraum für jeden Teenager. Dass Kinder sagten: "Bei Papa war es aber viel schöner", komme schon einmal vor, berichtet Zehra Schüren. "Auch der ständige Druck, nicht verraten zu dürfen, wo sich das Frauenhaus befindet, belastet die Kinder." Durch die schwierige Situation auf dem Wohnungsmarkt verlängert sich dieser Druck häufig um mehrere Monate.

Besonders makaber für alle Betroffenen ist die politische Diskussion um die Mietobergrenzen. Die Anpassung erfolgte einst auf der Grundlage eines Gutachtens. Inzwischen ist es umstritten. Deshalb beschloss der Kreistag, einen Bestandsschutz einzuführen: Alle Empfänger von Arbeitslosengeld, die bereits in Wohnungen wohnen, welche durch die Anpassung zu teuer wurden, dürfen bleiben. Für alle, die noch eine Wohnung suchen, gelten die verschärften Grenzsätze.

Bei Nadja Ebert haben die knapp 60 Euro den Unterschied gemacht. Sie fand keine Wohnung, die günstig genug war. Am Ende hatte sie trotzdem Glück: Eine wohltätige Organisation gewährte ihr ein Darlehen über 2500 Euro. So kann sie sich nun eine Zweizimmerwohnung in Norderstedt leisten. Kaution, Courtage und die Differenz zu den 525 Euro, die das Jobcenter übernimmt, zahlt sie selbst. Würden noch die alten Mietobergrenzen gelten, hätte sie den Kredit nicht gebraucht.