Beim Volkstrauertag in Kaltenkirchen treffen sich am Sonntag Teenager und Senioren an den Gedenkstätten und bei Gottesdiensten.

Kaltenkirchen. Das Ehrenmal am Ehrenhain in Kaltenkirchen ist weder prunkvoll noch pompös. Doch vielleicht flößt dem Besucher die gedämpfte Atmosphäre, die Stille inmitten des herbstlichen Waldes genau deswegen Respekt ein. Auf zwei Tafeln - teilweise fast verblichen - sind die Namen aller Kaltenkirchener aufgelistet, die in den beiden Weltkriegen als Soldaten ums Leben gekommen sind oder immer noch vermisst werden. Die Lettern der Inschrift sagen: "Denen die für uns starben."

"Allein schon daran zu denken, ist beängstigend"

Für Jorge Franck sind Krieg und Tod abstrakte Ereignisse. Der 16-jährige Gymnasiast ist seit Juni Sprecher der Jugendstadtvertretung und hat in dieser Funktion meist mit konkreten Problemfällen - etwa aktuell dem Haushalt für 2013 - zu tun. Und doch hat er sich in den vergangenen Tagen die Zeit genommen, eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu führen. Anlass ist der Volkstrauertag, der an diesem Sonntag, 18. November, begangen wird. "Ich habe die Weltkriege nicht erlebt, anders als ältere Menschen. Also weiß ich nicht, wie es sich anfühlt. Aber allein schon daran zu denken, ist beängstigend", sagt Jorge Franck.

In Kaltenkirchen haben Politik und Gesellschaft einen angemessenen Rahmen gefunden, um der Tragweite des Themas gerecht zu werden. Es darf nicht vergessen werden, dass die Stadt eine besondere Historie hat. An der heutigen B 4, im Ortsteil Springhirsch, befand sich zur Zeit des Nationalsozialismus ein Konzentrationslager. Viele Hundert Menschen starben dort oder wurden im nahen Wald erschossen. Zwei Gedenkstätten - auf dem Gelände des damaligen Lagers sowie am Gräberfeld Moorkaten an der Barmstedter Straße - zeugen heute von diesen Schicksalen. "Das ist beängstigend für mich, dass es hier in der Umgebung Leute gab, die das befürwortet haben", sagt Jorge Franck.

Der 69-jährige Klaus Stuber lobt die Bereitschaft der Teenager

Warum damals die Menschen für ein grausames Regime in den Krieg zogen, darüber haben die Jugendstadtvertretung und der Seniorenbeirat zuletzt einen intensiven Dialog geführt. Anlass waren die Gedenkfeiern am Volkstrauertag, die in Kaltenkirchen mittlerweile großen Anklang finden. "Man kann die jungen Leute natürlich nicht zwingen", so Klaus Stuber, Vorsitzender des Seniorenbeirats. "Entweder schaffen es die Eltern oder die Schulen, die Dinge rüberzubringen. Aber es liegt auch an den jeweiligen Persönlichkeiten selbst."

Der 69-Jährige - geboren 1943 - lobt in diesem Zusammenhang die Bereitschaft der Teenager. "Wir Senioren sind ja sogar eine Generation weiter als deren Eltern. Für uns als Beirat ist das Thema eine Selbstverständlichkeit. Ich bin schon seit meiner Jugend und meiner Studienzeit politisch sehr interessiert. Der jetzige Vorstand der Jugendstadtvertretung hat gemerkt, dass der Volkstrauertag in Kaltenkirchen eine Tradition geworden ist."

Ursprünglich galt der Volkstrauertag dem Gedenken an die gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs und wurde erstmalig am 28. Februar 1926 begangen. Die kollektive Erinnerung wurde in der Weimarer Republik nicht im Gesetz verankert - teils aufgrund der instabilen politischen Situation, die legislative Prozesse behinderte, teils aufgrund eines Grundsatzstreits zwischen den beiden Kirchen. Diese konnten sich nicht auf einen Frühjahrstermin einigen, hatten zudem im November ihre eigenen Gedenktage wie Allerseelen und Totensonntag.

In der NS-Zeit wurde aus dem Volkstrauer- der Heldengedenktag - gesetzlich verordnet und als Propaganda genutzt für NSDAP und Wehrmacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Tradition der 1920er-Jahre wieder eingeführt, seit 1952 findet der Volkstrauertag zwei Sonntage vor dem ersten Advent statt. Die zentrale Gedenkstunde wird stets im Bundestag begangen, doch auch in den Bundesländern, in Städten und Gemeinden gibt es Tausende Parallelveranstaltungen.

Jorge Franck interpretiert den Tag so, dass nicht nur die Weltkriege zur Sprache kommen sollten. "Wenn man das Beispiel Syrien sieht, wo Menschen für die Demokratie kämpfen: In Deutschland gehen viele Menschen nicht wählen, woanders sterben Leute für dieses Recht."

Darauf wird der Elftklässler am Sonntag hinweisen, wenn er gemeinsam mit Klaus Stuber eine Rede hält. "Das dauert schon etwas länger, bis man die richtigen Worte gefunden hat", sagt Jorge Franck.

Um 11 Uhr beginnt unter Leitung von Pastorin Susanna Kschamer der Gottesdienst in der Michaeliskirche. Im Anschluss, gegen 12.30 Uhr, wird am Ehrenhain der Soldaten gedacht. Danach sind Kranzniederlegungen in Moorkaten sowie auf dem Friedhof an der Kieler Straße geplant.