Die Aufführung bewies, dass das Kulturwerk am See als Sprechbühne kaum zu toppen ist

Norderstedt. "Eins, eins, zwei, zwei, drei, drei" Weller Martin zählt die Rommé-Karten auf den Tisch. Immer schneller macht er das, immer gieriger. Er muss gewinnen, sonst stürzt seine Welt ein. Doch sein Gegenüber Fonsia Dorsey lässt ihm keine Chance.

Ellen Schwiers ist Fonsia, und der Spieler Weller ihr jüngerer Bruder Holger Schwiers. In der Co-Regie von Ellen Schwiers' Tochter Katerina Jacobs ("Der Bulle von Tölz") boten sie im Kulturwerk am See in Norderstedt mit "Gin Rommé" von Donald L. Coburn ein beklemmendes Spiel, das sie immer dichter weben, bis zur Entblößung der Seelen, der Charaktere, die sie spielen.

Auf der verkommenen Veranda eines Altenheims in den Südstaaten der USA liefert sich das Paar einen erschreckenden Seelen-Striptease, und die Fassaden der guten Erziehung der beiden blättert ebenso stark ab wie die Farbe am Verandaholz. Die komischen Dialoge, die beide mal lakonisch, mal bösartig, immer aber sehr wirkungsvoll über die Rampe bringen, rufen zwar Heiterkeit hervor, sind aber bitterer und tieftrauriger Ausdruck zweier Menschen, die im Alter mit den verpassten Chancen in ihrem unerfüllten Leben hadern.

Ellen Schwiers, eine Grande Dame des Theaters, versteht es vorzüglich, den Charakter der Fonsia mit kleinsten Gesten wie dem Nesteln am Rock oder am Ärmel und minimaler Mimik wie ein Zucken der Lippen zu zeichnen. Grandios steigert sie ihr Spiel bis zum Vergessen jeglicher guter Erziehung, flucht ebenso wie Weller, als dieser sie immer wieder zu neuem Spiel herausfordert.

Holger Schwiers grantelt und randaliert über die Bühne, kippt den Gartentisch um und macht seinerseits mit dem Verlauf der verlorenen Gin-Rommé-Partien die Verloren- und Verlogenheit des Weller Martin sichtbar.

So ganz nebenbei, aber unüberhörbar, flechtet Katerina Jacobs kritische Anmerkungen zum Umgang mit alten Menschen im Altenheim ein. Auch das ist beklemmend, doch steht nirgendwo, dass "Gin Rommé" eine Komödie ist, auch, wenn einige Zuschauer es so aufgefasst haben. Eines bewies das Stück erneut: Das Kulturwerk ist als Sprechtheater kaum zu toppen.