Jeder Mensch braucht zwei Namen, so schrieb einmal der Theologe Fulbert Steffensky - einen "Indianernamen" und einen Taufnamen. Den Indianernamen bekommt jeder aufgrund seiner Eigenschaften und Fähigkeiten verliehen - das ist gut und wichtig, weil dadurch das Besondere an jedem Menschen gewürdigt wird. Wer gut sehen kann, wird zum "Großen Adler", wer schnell laufen kann, wird zum "Springenden Hirsch". Aber wehe, wer ausschließlich einen Indianernamen hat. Keine Schwäche kann er sich leisten. Und wer krank ist oder mit einem Handicap leben muss, bekäme erst gar keinen Indianernamen.

"Big Tex", der große Texaner, das war der Spitzname von Lance Armstrong. Fast ein Jahrzehnt dominierte er den Radsport nach Belieben, gewann eine Tour de France nach der anderen, stieg in fast jedem großen Rennen aufs Siegerpodest. Manchmal charmant, manchmal ruppig in der Wildwestmanier eines Radsportsheriffs - aber alle waren sich einig, dass er eine Klasse für sich war.

Nichts ist mehr geblieben von diesem Ruhm - ein Betrüger wird er heute in den Medien und von den Funktionären des Radsports genannt. Der Große des Radsports ist nun reduziert auf das Format eines großen Dopingsünders. Indianername ade.

Es bleibt zum Glück sein Taufname: Lance - was so viel wie Heimat oder Land bedeutet. Und die Zusage: "Bei deinem Namen habe ich dich gerufen; du bist mein!" (Jes. 43,1). Unabhängig von dem, was ein Mensch macht - auch wenn es Betrügereien sein sollten (...und für die er auch gerade stehen muss!) - bleibt diese eine besondere Beziehung bestehen. Jeder Mensch ist und bleibt ein Kind Gottes.

Nicht mehr und nicht weniger ist auch die zentrale Botschaft des gestrigen Reformationstages - bevor und auch nach allem, was ein Mensch tut: Er ist und bleibt ein Geschöpf Gottes, das in einer besonderen Beziehung zu Gott steht. Auch als Betrüger. Provozierend und befreiend. Dafür stand Martin Luther.

Karl-Heinrich Melzer ist Propst im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein