Bis zu 300 Arbeitsplätze in Norderstedt in Gefahr. Abrechnung der Flugtickets soll in Billiglohnländer verlegt werden

Norderstedt. "Ich habe große Existenzängste und bin sehr wütend", sagt Corinna Dietz. Die 31-jährige Sekretärin aus Henstedt-Ulzburg, Mutter einer zwei Jahre alten Tochter, fürchtet um ihren Arbeitsplatz bei der Lufthansa Reveneue Services (LRS).

Ebenso wie für sie gilt das für alle 406 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Lufthansa-Tochtergesellschaft. Das Gerücht gibt es schon länger, aber jetzt wird es ernst. Die ersten Mitarbeiter wurden bereits am Dienstag zu Gesprächen von der Personalabteilung geladen.

Ausgelöst wurde die panikartige Stimmung durch den Auftritt von LRS-Geschäftsführer Reinhard Schäfer bei der Betriebsversammlung am Montag in der voll besetzten Firmenkantine am Schützenwall. Mehr als 200 Mitarbeiter hatten sich in die Kantine gezwängt, für die Abteilungsleiter reichten die Stühle zunächst nicht.

Schäfer hatte durchblicken lassen, dass das Lufthansa-Sparprogramm "Score" nun definitiv an der LRS-Verwaltung nicht vorübergehen werde. Dabei wurden erstmals auch Zahlen genannt.

"Ich schätze, dass es etwa 300 Mitarbeiter treffen könnte", bestätigte Kahlcke. "Zählt man weitere Firmen dazu, die direkt und indirekt von der Lufthansa abhängig sind und auf unserem Firmengelände arbeiten, dann könnten irgendwann die Türen für alle Mitarbeiter geschlossen werden. Dann würden insgesamt 800 Arbeitnehmer Norderstedt verlassen."

Christoph Meier, Pressesprecher bei der Lufthansa in Frankfurt, wollte in Sachen Arbeitsplätze keine Zahlen nennen. Er bestätigte auch nicht, dass es in Norderstedt bis zu 300 Mitarbeiter treffen könnte. Er sagte dem Hamburger Abendblatt: "Dass die Lufthansa ein milliardenschweres Sparprogramm mit dem Namen ,Score' aufgelegt hat, ist bekannt. Wir erwarten diese Woche das Zwischenergebnis eines Projektteams, das derzeit prüft, welche Maßnahmen bei Personal, Finanzen und Einkauf zu treffen sind." Bis Ende 2014 soll "Score" ein Ergebnis bringen. Insgesamt stehen 3500 von weltweit 120 000 Stellen auf dem Prüfstand. In Norderstedt ist die Angst groß. "Ich kann nicht verstehen, dass ein großer Konzern wie die Lufthansa, der zwar finanzielle Probleme hat, der jedoch nicht einmal vor der Insolvenz steht, so viele Stellen abbauen will", sagt Corinna Dietz, die gelernte Kauffrau für Bürokommunikation. "In meinem Alter finde ich wohl einen neuen Job, aber mein Mann und ich haben erst vor Kurzem ein Reihenhaus gekauft. Können wir uns das jetzt überhaupt noch leisten, wenn ich hier gehen muss? Wir haben viele Jahre hier offensichtlich vergeblich gekämpft und gespart."

Die Keimzelle der Ticketabrechnung war auf dem Lufthansa-Gelände. Drei Mitarbeiter gründeten die Abteilung, die in der Halle 8 untergebracht wurde. 1998 wurde die hundertprozentige Lufthansa-Tochter LRS gegründet. Die Abrechnungs-Software wurde von den Mitarbeitern selber entwickelt.

Gina Zerwe, 52, aus Stuvenborn ist seit 35 Jahren auf dem Gelände am Schützenwall bei der Lufthansa Cargo AG beschäftigt und derzeit als Sachbearbeiterin bei der Interline-Abrechnung tätig. "Bei der Fracht herrscht noch keine Panikstimmung, aber ich beneide die Kollegen und Kolleginnen bei Revenue Services nicht. Ich kann es schon verstehen, dass sie um ihren Arbeitplatz bangen.

"Die Situation ist alarmierend und dramatisch, jetzt geht es um die Wurst", wettert Klaus Kahlcke. Seit 20 Jahren gehört er LRS, das jährlich etwa 55 Millionen Flugtickets verarbeitet und abrechnet, an. Zunächst als Systemmanager, seit zwei Jahren ist er Vorsitzender des Betriebsrates. Er hofft inständig, dass die Lufthansa keine betriebsbedingten Kündigungen vornehmen wird.

"Von dem Standort Norderstedt können wir uns über kurz oder lang wohl verabschieden", glaubt Klaus Kahlcke. "25 Jahre lang ist alles gut gegangen hier am Schützenwall, aber nun gehen die Lebensplanungen bei 200 oder sogar mehr Familien kaputt. Wir müssen uns damit abfinden, dass die Lufthansa unseren Teil der Arbeit offensichtlich in Billiglohnländern durchführen lassen will. Eines habe ich mir vorgenommen: Ich werde um jeden Arbeitsplatz kämpfen."