Eine Feuerlöschübung und ein Rechtsstreit: Dies sind die Folgen der Katastrophe bei einem Krippenspiel im Jahr 2011 in Bad Segeberg.

Bad Segeberg. Pfarrer Paul Boon hält gemeinsam mit der Gemeindereferentin Gabriel Kief die Brandschutzdecke. Vor den beiden, auf dem Hof der Feuerwehr in Trappenkamp, steht eine brennende Menschenpuppe. Pfarrer Boon und Gabriele Kief werfen die Decke über die Puppe, legen sie flach und streichen mit den Händen über die Decke, um die Flammen zu ersticken. "Wir wollen hier lernen, wie wir einen brennenden Menschen löschen können. Wir wollen vorbereitet sein. Damit so etwas nie wieder passiert", sagt Pfarrer Boon.

Vor etwas über neun Monaten, an Heiligabend, geschah es in Pfarrer Boons katholischer St.-Johannes-Kirche nahe des Kalkbergs in Bad Segeberg. Lena, 7, aus Blunk spielt beim Krippenspiel mit: In einem Lämmchen-Kostüm, über und über mit Watte beklebt. Nach der Aufführung fängt das Kostüm Feuer an einer Kerze, die Siebenjährige steht in Flammen. Trotz dem beherzten Eingreifen der Gemeindemitglieder erleidet sie schwerste Verbrennungen.

Wie genau das Unglück passieren konnte, darüber dauern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel auch nach neun Monaten immer noch an. Staatsanwalt Axel Bieler rechnet in vier Wochen mit einem endgültigen Ergebnis. "Wir haben derzeit nur eine Meinung und noch keine abschließende Position", sagt Bieler. Diese Meinung haben sich die Juristen auf der Basis eines Gutachtens gebildet, das den Hergang des Unglücks rekonstruiert haben soll und in dem alle Zeugenaussagen verwertet wurden. Es kommt wohl zu dem Schluss, dass der Fall Lena ein Unfall war, dass also niemand von der Johannes-Kirche strafrechtlich belangt werden könne. Auch nicht ein renommierter Arzt der Segeberger Kliniken, der während des Unglücks auf einer der Kirchenbänke saß und nach Aussagen anderer Gemeindemitglieder hätte eingreifen müssen, dies aber nicht getan haben soll. Die Anzeige gegen ihn wegen unterlassener Hilfeleistung wird wohl keinen Erfolg haben. Staatsanwalt Bieler: "Wir gehen davon aus, dass der Arzt umsichtig gehandelt hat."

Thilo Zimmermann, der Anwalt von Lenas Familie, sieht das ganz anders. "Wir werden eine Einstellung des Verfahrens nicht akzeptieren", sagt er. Zimmermann hat eigene Recherchen zum Unfallhergang betrieben und kann ihn heute gut rekonstruieren, wie er sagt. Die Rolle des Mediziners sieht Zimmermann nach wie vor kritisch. "Die Leute, die neben ihm gesessen haben, zeigten ihn an, weil er nichts tat", sagt der Anwalt. Auch die Kirche, besonders das Bistum, verhalte sich ungenügend. "Die Kirchengemeinde Segeberg kümmert sich rührend um die Familie. Aber vom Bistum kommt derzeit gar nichts mehr. Die wollen das Thema aussitzen."

Gisela und Ralph B., die Eltern von Lena, sind enttäuscht von der juristischen Aufarbeitung des Unglücks. "Wir wurden zu allem bisher noch gar nicht befragt", sagt Gisela B. Doch die beiden haben mit der Betreuung von Lena alle Hände voll zu tun und überlassen ihrem Anwalt die rechtliche Aufarbeitung. "Lena ist sehr tapfer, es geht ihr gut", sagt Gisela B. 24 Stunden am Tag trage Lena einen Kompressionsanzug. Der hält das Narbengewebe auf ihrer verbrannten Haut flach.

"Täglich muss sie eineinhalb Stunden zur Physiotherapie. Die Haut muss eingecremt und massiert werden, damit sie dehnbar bleibt." Lena trägt noch dazu eine Halskrause, Verbände am Kopf und Handschuhe zum Schutz der verletzten Haut. Sie geht in die dritte Klasse der Grundschule. "Manche Kinder sind grausam. Sie hänseln Lena. Aber sie beschwert sich nie. Und in ihrer Klasse wird sie sehr unterstützt", sagt die Mutter. Mit homöopathischen Mitteln ist es der Familie gelungen, dass Lena wieder ohne Albträume schlafen kann. Gisela B.: "Ansonsten spricht Lena nicht über den Heiligabend. Sie verdrängt das."

Die Kosten für die aufwendigen Behandlungen des Kindes übernimmt mittlerweile die Berufsgenossenschaft. "Und bei uns in der Kirchengemeinde gibt es immer noch ein Spendenkonto für die Familie. Da ist den letzten Monaten ein Fünfstelliger Betrag zusammengekommen", sagt die Gemeindereferentin Gabriele Kief. Schon mehrmals habe die Gemeinde Summen über 5000 Euro an die Familie überwiesen. Geld, das Lena für viele Maßnahmen heute und in der Zukunft dingend benötigt.

Auch Kief und etwa ein Dutzend weitere Mitglieder der drei von Pfarrer Boon in Segeberg, Trappenkamp und Wahlstedt betreuten Kirchengemeinden nehmen an der Feuerschutzübung bei der Feuerwehr in Trappenkamp teil. Wer kennt sich schon aus mit der Anwendung einer Feuerlöschdecke und einem Feuerlöscher. In den Gemeinden von Pfarrer Paul Boon gibt es jetzt auf jeden Fall genug davon. "Unsere Kirche gleicht jetzt einem Kino", sagt Boon. Feuerlöscher überall, dazu rote Kästchen mit Löschdecken an den Wänden und grüne Notausgangsschilder über den Ausgängen der Kirche.

Auf Kerzen ganz verzichten will Boon aber nicht. Aber zu Ostern und bei der Kommunion habe es nur Stumpenkerzen in nicht entflammbaren Bechern gegeben. Dem Weihnachtsfest blickt Boon skeptisch entgegen. Ob es ein Krippenspiel geben wird, weiß er nicht. "Vielleicht wirkt der Schock zu sehr nach. Vielleicht kommen an Weihnachten nicht mehr so viele in die Kirche. Ich kann es nicht sagen."