Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben will mehr Verkehr auf die Schiene verlagern und Straßen nicht mehr neu bauen, sondern nur noch reparieren

Norderstedt. "Früher haben wir einen Antrag gestellt und wussten, dass er abgelehnt wird. Jetzt haben wir eine Idee, stimmen sie mit unseren Koalitionspartnern ab - und dann wird sie angenommen. Das ist ein völlig neues politisches Arbeiten", sagt Eka von Kalben. Und das klingt noch immer überrascht, so, als wenn sie den Wechsel von der Oppositions- auf die Regierungsbank noch nicht vollständig verarbeitet hat. Seit Juni ist die 48-Jährige Fraktionschefin der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag und auch zuständig für den Kreis Segeberg. Wir haben mit ihr gesprochen.

Hamburger Abendblatt:

Gerade gab es die große Bildungskonferenz, die Schulpolitik im Norden soll auf eine möglichst breite Basis gestellt werden. Wofür stehen die Grünen?

Eka von Kalben:

Dafür, dass Bildung weniger abhängig wird vom Geldbeutel der Eltern und für möglichst langes gemeinsames Lernen.

Das heißt Gemeinschaftsschule als einzige Schulform?

von Kalben:

Das wäre ein sehr langfristiges Ziel. Uns geht es zuallererst mal um Verlässlichkeit. Die Menschen haben die Nase voll vom Hickhack in der Bildungspolitik der letzten Jahre. Wir werden das bestehende System nicht kurzfristig wieder ändern, es wird aber in den nächsten Jahren bei den weiterführenden Schulen auf die Koexistenz von Gymnasien und Gemeinschaftsschulen mit der Möglichkeit, nach neun Jahren Abitur zu machen, hinauslaufen. Am wichtigsten ist aber ist guter Unterricht, egal, wie die Schule nun heißt.

Wie lässt sich das erreichen?

von Kalben:

Wir müssen mehr Fortbildung für die Lehrer anbieten. Viele sind doch gar nicht darauf vorbereitet, in den Gemeinschafts- oder Regionalschulen Schüler mit unterschiedlichem Leistungsvermögen zu unterrichten. Weiter müssen wir die Lehrpläne der Gymnasien durchforsten und entrümpeln, um die Schüler beim Abitur nach acht Jahren zu entlasten. Schließlich werden wir trotz des Schülerrückgangs rund 700 Lehrer mehr erhalten, als es die Vorgängerregierung wollte.

Warum gibt es im Kreis Segeberg keine kostenlosen Ausbildungsplätze in der Altenpflege?

von Kalben:

Das ist fast schon ein Skandal, und es ist nicht zu verstehen, warum der Staat beispielsweise künftigen Kfz-Mechatronikern die Berufsschule finanziert, künftige Pflegekräfte aber im Regen stehen lässt. Wir werden das ändern und zusätzlich landesweit 200 kostenlose Ausbildungsplätze in der Pflege schaffen. Das wird allerdings nicht reichen, um den Bedarf zu decken. Wir müssen bei jungen Leuten verstärkt für das Berufsbild werben.

Auch beim Fluglärm steht das Umland schlecht da. Wie lassen sich die Belastungen gerechter zwischen den Umlandgemeinden und Hamburg verteilen?

von Kalben:

Da haben die Städte und Gemeinden kaum Einfluss. Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass das Land die Gespräche mit Hamburg wieder aufnimmt.

Es gab schon vor Jahren die Norderstedter Gespräche, an denen auch Regierungsvertreter teilgenommen haben. Gebracht haben sie nichts.

von Kalben:

Hamburg ist auf Schleswig-Holstein angewiesen, muss beispielsweise seinen Elbschlick bei uns lagern, brauchte die Zustimmung zur Elbvertiefung. Ich will jetzt hier keine Drohkulisse aufbauen, das wäre kontraproduktiv. Ich hoffe einfach auf gute Gespräche, die wieder Bewegung in die festgefahrene Situation bringen.

In beiden Ländern stellt die SPD den Regierungschef. Müsste sich die Kooperation da nicht deutlich verbessern?

von Kalben:

Zumindest wollen wir daran arbeiten. Es gibt neben den umstrittenen Themen wie dem Fluglärm und der Windkraftmesse in Husum vieles, was wir gemeinsam machen können. So sind Wohn- und Gewerbeflächen in Hamburg begrenzt, auch soziale Probleme machen nicht an der Landesgrenze halt.

Was tun die Grünen, um den Bau der S-Bahn-Linie 4 von Hamburg über Ahrensburg nach Bad Oldesloe und den Ausbau der AKN-Strecke Hamburg-Kaltenkirchen zur S 21 voranzutreiben?

von Kalben:

Beide Vorhaben haben für uns höchste Priorität, ich kann momentan aber nicht sagen, welches der beiden Projekte zuerst realisiert wird. Das hängt auch stark von Hamburg ab, unser Verkehrsminister Reinhard Meyer steht in engem Kontakt mit seinem Hamburger Kollegen Horch. Den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sehen wir auch als Chance, die Staus vor dem Elbtunnel zu reduzieren.

Das soll auch die Autobahn 20 leisten. Warum soll sie auf Wunsch der Grünen schon an der A 7 enden?

von Kalben:

Wir waren ursprünglich gegen jede Art von Weiterbau, mussten die Kröte bei den Koalitionsverhandlungen aber schlucken. Nun soll der Abschnitt bis zur A 7 zügig realisiert und bis 2017 fertig werden. Die Elbquerung lehnen wir ab, weil neue Straßen nur mehr Autos und Lkw mit sich bringen. Bis 2050 brauchen wir die Verkehrswende, müssen mehr Güter und Menschen über die Schiene transportieren. Wir müssen mehr Geld in den Ausbau des Schienennetzes investieren, Straßen nicht mehr neu bauen, sondern nur noch reparieren.

Wie stehen Sie zum Nordstaat?

von Kalben:

Dieser Begriff ist negativ belastet. Vorstellen können wir uns aber ein norddeutsches Bundesland. Wir werden unsere Mitglieder in einer Urwahl darüber abstimmen lassen. Es gibt zumindest zwischen Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg viele Berührungspunkte, zu denen beispielsweise auch die Gastschüler zählen. Wichtige Voraussetzung für eine echte Partnerschaft ist allerdings, dass Hamburg sein gelegentlich zu beobachtendes hanseatisches, zum Teil überhebliches Verhalten ablegt.

Im Mai 2013 ist Kommunalwahl. Wie gut sind die Grünen aufgestellt?

von Kalben:

Auch wenn die Grünen gut aufgestellt sind, ist es grundsätzlich schwierig, Menschen für ehrenamtliche Arbeit zu gewinnen. Das gilt für Sportvereine und Schulelternbeiräte genauso wie für die Politik. Die Gründung und erfolgreiche Arbeit des Grünen-Ortsverbandes in Norderstedt zeigt aber, dass Interesse an grüner Politik vorhanden ist. Doch gerade auf dem Land müssen und wollen wir schwarze Flecken grün machen. Abseits der größeren Städte und Gemeinden geht es nicht nur um die politische Farbe, sondern um Demokratie an sich. Die Parteien haben es immer schwerer, Kandidatenlisten aufzustellen. Und wenn die Bürger ihr Kreuz dann nur noch bei der örtlichen Wählergemeinschaft machen können, kann von Wahl keine Rede mehr sein.

Mais als Lieferant von Biogas ist in die Kritik geraten, Kritiker sprechen schon von einer Vermaisung der Landschaft. Ist die Kritik berechtigt?

von Kalben:

Ja, da müssen wir ganz klar von einer Fehlentwicklung sprechen. Auch wir Grüne haben stark darauf gesetzt und müssen nun feststellen, dass die Produktion von Biogas aus dem Ruder gelaufen ist. Aber Fehler darf man machen, man muss sie nur korrigieren.

Wie soll das geschehen?

von Kalben:

Mais muss nicht der Hauptgärstoff sein. Da müssen stärker andere Brennstoffe wie Grünabfälle eingesetzt werden. Und wir dürfen nur noch begrenzt neue Anlagen genehmigen.

In ihrem Wahlprogramm haben die Grünen die medizinische Versorgung des ländlichen Raums angesprochen. Wie soll die gewährleistet werden?

von Kalben:

Das ist in der Tat ein Problem. Eine unserer Überlegungen ist es, Medizinstudenten Patenschaften mit Landarztpraxen zu ermöglichen. Junge Ärzte müssen einen Anreiz bekommen, sich auf dem Land niederzulassen.