Aus der vermüllten Lohmühle in Bad Segeberg ist die Synagoge des Nordens entstanden. Am Sonntag wird zehnjähriges Bestehen gefeiert.

Bad Segeberg. Einen einzigen Cent spendete Shoshana Lasowski. Sie glaubte nicht daran, dass der Traum wahr werden würde, aus der verfallenen Lohmühle in Bad Segeberg eine Synagoge zu bauen, ein Gemeindezentrum für eine neue lebendige jüdische Gemeinde im Kreis Segeberg. Sie glaubte nicht daran, dass die Segeberger dieses Projekt unterstützen würden. Immerhin sollte es 1,6 Millionen Euro kosten.

Das war vor zehn Jahren. Shoshana Lasowski hatte Unrecht. Und freut sich darüber wohl selbst am meisten. Denn der Traum ist für sie und alle Mitglieder der Gemeinde in Erfüllung gegangen. Aus der vermüllten Mühle, der die Abrissbirne drohte, wurde mitten in der Kreisstadt ein quicklebendiges Gemeindezentrum, die Synagoge Mishkan Ha'Zafon, die Synagoge des Nordens.

+++Jüdische Geschichte in Bad Segeberg+++

28 jüdische Bürger des Kreises Segeberg gründeten am 17. Februar 2002 die erste jüdische Gemeinde im Kreis nach dem Holocaust, mit dem das NS-Regime auch Segebergs jüdische Gemeinde vernichtete. Die alte Synagoge wurde in der Reichspogromnacht zwar nicht vollständig zerstört. Sie stand inmitten von Häusern an der Oldesloer Straße, und die Brandstifter befürchteten, die Flammen würden auf "deutsche" Wohnhäuser übergreifen. Die Ruine wurde 1968 dem Erdboden gleichgemacht. Doch niemand wagte es, das Grundstück neu zu bebauen. Heute steht dort ein Mahnmal gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus.

Gründeten 2002 nur 28 Mitglieder die Gemeinde, so zählte sie bei der Einweihung der Synagoge im Juni 2007 bereits 170 Mitglieder, und jetzt sind es mehr als 200 Juden, die zur jungen jüdischen Gemeinde gehören, die meisten Kontingent-Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion.

Dank vieler Spenden wurde aus der Ruine eine Begegnungsstätte

Heute ist wahr geworden, was Shoshana Lasowski vor zehn Jahren nicht glaubte. 2004 war Grundsteinlegung, und dank vieler Spenderinnen und Spender, darunter Stadt, Land und Kreis, Kirche und Charity-Clubs und -Vereine, Handwerksbetriebe und Industrieunternehmen verwandelte die kleine Segeberger Gemeinde die Lohmühlen-Ruine in eine Begegnungsstätte mit Kindergarten und Jugendzentrum, mit dem einzigen rituellen Tauchbad in Schleswig-Holstein, der Mikwe, mit Bibliothek, koscherer Küche, Unterrichts- und Versammlungsräumen, einem Synagogensaal, mit einer Gedenkstätte für Holocaust-Opfer und einem grünen Spielplatz hinter dem Sidonie-Werner-Kindergarten.

Die Kita, die allen Kindern offensteht, widmete die Gemeinde der Gründerin des jüdischen Waisenheims, die 1920 das Sidonie-Werner-Waisenheim in der heutigen Villa Flath gründete.

"Wir sind zurückgekehrt in eine neue Normalität mit freundlichem Umfeld", sagt Walter Blender, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Segeberg und des Jüdischen Landesverbandes Schleswig-Holstein, der ebenfalls sein zehnjähriges Bestehen feiert. Blender ist der Visionär, der seine Mitstreiter immer wieder motivierte anzupacken, wieder eine neue jüdische Heimat zu bauen.

+++300 Jahre alter Schatz in Synagoge entdeckt+++

"Was hier geleistet wurde, ist unfassbar", sagte Charlotte Knoblauch, Ex-Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, als sie die Gemeinde im November 2009 besuchte.

Unfassbar ist auch, dass bereits drei Jahre vor dem Beginn des endgültigen Ausbaus am 21. August 2006 alle Gemeindemitglieder anpackten, damit aus dem Traum Wirklichkeit wird. Sie brachen Steine aus dem alten Gemäuer, schaufelten den Dreck aus der Ruine, bauten verkohlte Balken aus, rissen alte Mauern nieder und mauerten neue auf, bauten Fenster und Türen ein, kachelten und fliesten, hobelten und sägten, pflanzten Bäume, säten Rasen und Blumen, nähten Gardinen, bauten die Bima, den Gebetstisch, in der Synagoge ebenso aus altem Mobiliar wie den Thoraschrank. Viele Handwerksbetriebe unterstützten den Synagogenbau, indem sie der Gemeinde Arbeitsstunden und Material spendeten, und auch Architekt Klaus Eggers und sein Team sahen den Bau eher als Leidenschaftsprojekt denn als Broterwerb.

Die ersten Segeberger Juden nach dem Holocaust trafen sich im Jüdischen Kulturverein Segeberg. Sie erforschten die jüdischen Geschichte der Kreis- und Kurstadt, begannen, Shabbat zu feiern, und am 20. April 2002 hielt Walter Rothschild, heute Landesrabbiner von Schleswig-Holstein, in Bad Segeberg die erste Thora-Lesung nach dem Holocaust. Die neue Gemeinde konnte sich in der evangelischen Kirche an der Falkenburger Straße treffen, doch der Wunsch nach einem eigenen Haus wurde ebenso immer größer wie die Gemeinde selbst.

+++Weichmann-Medaille für Erforschung jüdischer Geschichte+++

"Walter Blender gebührt Dank und Anerkennung für seine Beharrlichkeit"

"Die Weihung der Synagoge ist ein historischer, ein bewegender Tag für unser ganzes Land", sagte Peter Harry Carstensen bei der Einweihung des Zentrums im Juni 2007. Der damalige Ministerpräsident lobte vor allem Walter Blender: "Ihm gebührt Dank und Anerkennung für seine Beharrlichkeit."

Dafür erhielt Blender im April 2009 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Der Segeberger hat zeitgleich Juden in Ahrensburg, Pinneberg, Elmshorn und Kiel bei der Gründung einer Gemeinde unterstützt und nach langen, finanziellen Auseinandersetzungen mit der damaligen Jüdischen Gemeinde Hamburg, zu denen Schleswig-Holsteins Juden ursprünglich gehörten, in einen eigenen, den Landesverband Schleswig-Holstein geführt.

"Wir sind dankbar für die große Hilfe und fühlen so etwas wie Genugtuung, dass wir es trotz vieler Widrigkeiten geschafft haben", sagt Vorstandsmitglied Stephan Aaron Weckwerth.

Zum zehnten Geburtstag lädt die Jüdische Gemeinde Segeberg zu Sonntag, 16. September, 15 bis 18 Uhr, zu einem Tag der offenen Tür, an dem die Synagoge Mishkan Ha'Zafon (Synagoge des Nordens) am Jean-Labowsky-Weg 1 besichtigt werden kann. Eine Ausstellung mit Fotografien von Gesche Cordes zeigt die Entstehung des Gemeindezentrums. Es werden koscherer Wein und koschere Snacks serviert.