Kein Einzelfall: Frührentner Dieter Landig benötigt Hilfe vom Sozialamt. Doch es gibt auch Ausnahmen: Pensionär Arno Holtz kann dreimal im Jahr verreisen.

Norderstedt. Die Rente beschäftigt derzeit alle Parteien. Sie wollen der Altersarmut vorbeugen, doch über das beste Rezept wird selbst innerparteilich hart gestritten. Rund 16 500 aller Einwohner Norderstedts sind 65 Jahre oder älter. 400 von ihnen bekommen so wenig Rente, dass sie Geld für die Grundsicherung vom Sozialamt erhalten. Insgesamt erhalten 600 Rentner Sozialleistungen zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts. Das sind nüchterne Zahlen, die von der Stadtverwaltung herausgegeben werden. Aber hinter jedem Fall, der beim Sozialamt aktenkundig wird, steht ein besonderes Schicksal.

Zum Beispiel das von Dieter Landig. Der 67 Jahre alte Norderstedter ist seit 2003 Frührentner. Bis zu diesem Zeitpunkt war er Großhandelskaufmann in einer Hamburger Firma, musste seinen Job aber aufgeben, weil der Rücken kaputt war und schwere Depressionen hinzukamen. 537,80 Euro Rente sind das Ergebnis eines wechselvollen Arbeitslebens. Das Sozialamt Norderstedt zahlt ihm 319,67 Euro dazu, sodass Dieter Landig auf ein monatliches Gesamteinkommen von 857,47 Euro kommt - unter dem Strich ein weiterer Schicksalsschlag für den Mann, mit dem das Leben es nur selten gut gemeint hat.

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Seinen Vater hat Dieter Landig nie kennengelernt. Er kam aus dem Krieg nicht zurück. Die Mutter starb früh. Aufgewachsen bei Pflegeeltern, schwere Landarbeit schon als Kind und Jugendlicher, wechselnde Arbeitsstellen am Fließband, im Presswerk und als Lkw-Fahrer, Umschulung zum Großhandelskaufmann. Die erste Ehefrau starb 1985 bei der Geburt der Tochter, eine zweite Ehe wurde nach zwölf Jahren geschieden. Der Versorgungsausgleich für die zweite Ehefrau wird ihm von der Rente automatisch abgezogen.

Das sind nüchterne Fakten, die aneinandergereiht die Summe eines Lebens ergeben. Heute lebt Dieter Landig in einer 48 Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Wohnung und muss jeden Euro zweimal umdrehen, bevor er ihn ausgibt. 40 Euro Stromkosten, 20 Euro Telefon, Hundesteuer für einen altersschwachen Hund, Futter für den Hund und eine alte Katze - das sind die Fixkosten. Die übrigen Ausgaben versucht er zu drücken: Warmes Essen gibt es nur viermal im Monat, auf Wurst und Käse verzichtet er, auf Alkohol und Nikotin sowieso. Ein Auto besitzt er.

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Jedes Jahr muss er die Grundsicherung beim Sozialamt neu beantragen. "Ich werde dort korrekt behandelt, aber beim erstenmal war es sehr unangenehm und peinlich, mich dort vorzustellen."

Aber es gibt nicht nur düstere Zeiten in Dieter Landigs Leben. Die Depressionen hat er überwunden, seit sieben Jahren benötigt er keine Tabletten mehr. Als Stimmungsaufheller dienen auch seine Hobbys: Er spielt gerne Mundharmonika und ist ein begeisterter Verfasser von Gedichten und Sketchen. Zu seiner 27 Jahre alten Tochter in Hamburg hat er einen herzlichen Kontakt.

Wenn Dieter Landig heute auf sein Leben zurückblickt, weiß er, dass einige Ding verkehrt gelaufen ist. Aber die entscheidenden Weichen wurden schon während seiner Kindheit, die eigentlich keine war, gestellt. "Mein Leben lang habe ich hart gearbeitet, jetzt reicht meine Rente noch nicht einmal für mich zum Leben, das ist schon bitter."

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Arno Holtz ist ebenfalls 67 Jahre alt. Er hat ebenfalls ein Leben lang hart gearbeitet. Viel mehr verdient als Dieter Landig hat er nicht, aber er lebt heute in einer Drei-Zimmer-Wohnung, fährt einen nagelneuen Honda und kann sich drei Urlaube im Jahr leisten. Was den feinen Unterschied ausmacht, konnten in der vergangenen Woche Millionen Fernsehzuschauer sehen: In der aktuellen Rentensituation wurde der Norderstedter als Musterbeispiel eines Pensionärs in den "Tagesthemen" vorgestellt. In dem Filmbeitrag war zu sehen, wie Arno Holtz sich für 20 000 Euro einen Vorführwagen kauft - bezahlt vom eigenen Konto.

Arno Holtz war im Hamburger Justizvollzugsdienst 26 Jahre Beamter im mittleren Dienst. Als Krankenpfleger war er in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel ("Santa Fu") eingesetzt. Letztes Monatsgehalt: 2600 Euro. Aktuelle Pension: 1600 Euro. Dazu kommen 600 Euro Rente aus seiner früheren Tätigkeit als Fliesenleger. Ehefrau Bärbel war Chemiehelferin und bekommt eine Minimalrente. Für die Drei-Zimmer-Wohnung in einem 2010 fertiggestellten Neubau zahlen beide 800 Euro Miete (warm), bekommen jährlich aber 500 Euro Heizkosten erstattet, weil die Wohnung mit modernster Wärmetechnik ausgestattet ist. Unter dem Strich reicht das für ein bequemes Leben. Arno Holtz hätte es nicht nötig, seine Pension aufzubessern, aber er will nicht einrosten. Also arbeitet er nebenbei als Sargträger auf 400-Euro-Basis und Kleindarsteller in Filmen ("Banklady") und Werbespots. Das alles reicht, um Kreuzfahrten zu machen, nach Mallorca oder auch mal in die Arabischen Emirate zu fliegen und zusätzlich noch einen Urlaub mit dem Auto irgendwo in Deutschland zu machen - alles innerhalb eines Jahres. "Die Entscheidung, in den Staatsdienst zu gehen, war gut", sagt Holtz. "Auch nach meiner Pensionierung musste ich mich nie einschränken."

In Deutschland gibt es so viele pensionierte Beamte und Soldaten wie nie. Anfang 2012 waren es rund 772 000 bei Bund, Ländern und Gemeinden. Dagegen bekommen 20,5 Millionen Menschen eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.