Das Hausarztnetz Nord berät über Maßnahmen, wie die Honorarforderungen durchgesetzt werden können. Viele sprechen von Unterbezahlung.

Kreis Segeberg. Die Spitzenvertreter der Ärzte haben in Berlin die Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen platzen lassen. Überall in Deutschland drohen Praxisschließungen, ob niedergelassene Ärzte aber auch im Kreis Segeberg streiken, ist noch ungewiss. Das Hausarztnetz Nord, in dem sich hausärztlich tätige Ärztinnen und Ärzte der Region Norderstedt und des Umlandes zusammengeschlossen haben, will in den nächsten Tagen beraten, ob es tatsächlich dazu kommen kann.

Für den Henstedt-Ulzburger Arzt Holger Weihe, 56, der eine Praxis gemeinsam mit zwei weiteren Ärztinnen betreibt, steht indessen jetzt schon fest, dass er sich an einem Streik nicht beteiligen wird. "Das wäre nicht sinnvoll, weil es die Versorgung gefährdet", sagt der Allgemeinmediziner. Ausschließen will er jedoch nicht, dass er an einzelnen Aktionen teilnimmt - zum Beispiel an einer zentralen Kundgebung der Ärzteschaft, um auf die finanzielle Situation der Ärzte hinzuweisen. Laut Honorarbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verdienen niedergelassene Ärzte in Deutschland im Monat 5500 Euro netto im Monat. Nach dem bisherigen Verhandlungsstand steht eine Erhöhung der Honorare um 0,9 Prozent bevor.

Pro Hausbesuch bekommt der Arzt 20 Euro extra

Am Beispiel von Holger Weihe wird deutlich, wie sich das Honorar der Ärzte zusammensetzt. Er und seine Kolleginnen erhalten pro Patient eine Ordinationsgebühr von 35 Euro im Quartal von den Krankenkassen, bei Spezialleistungen wie etwa Dauerblutdruckmessen kommen 5,35 Euro hinzu. Pro Hausbesuch gibt es 20 Euro extra. Diese Pauschalabgeltung findet Holger Weihe in Ordnung: " Ich muss also nicht auf Krampf Einzelleistungen erbringen, um Geld zu bekommen", sagt er. "Wer einmal im Quartal kommt, ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein guter Patient."

+++ Kassenärzte-Chef bekräftigt Entschlossenheit +++

1500 bis 1600 Kassenfälle werden in der Gemeinschaftspraxis in Ulzburg Süd pro Quartal bearbeitet. Als Holger Weihe die Praxis noch alleine betrieb, kam er auf ein Nettoeinkommen von 6000 Euro pro Monat. Heute, bei stark reduzierter Stundenzahl und abgezahlten Praxisräumen, sind es 3000 Euro. "Mit meinem Einkommen bin ich zufrieden", sagt der Arzt. Aber er gibt auch zu bedenken, dass für die sechs Mitarbeiterinnen zu Beginn des Jahres zwei Prozent Gehaltserhöhung fällig waren. Er unterstreicht die Forderungen der kassenärztlichen Bundesvereinigung nach höheren Honoraren. Als Gründe nennt er die Gehaltssteigerungen der Mitarbeiter, den Morbiditätsfaktor (Patienten werden älter und konsultieren den Arzt häufiger) und den Verteilungsfaktor, mit dem Praxen in Bereichen mit unterdurchschnittlichem Einkommen gestützt werden könnten, um zum Beispiel Praxen auf dem Land überlebensfähig machen zu können. "Unter dem Strich", sagt Holger Weihe, "kommt auf uns Ärzte mehr Arbeit zu."

Wie viele seiner Kollegen spricht auch Thomas Flamm von "Unterbezahlung"

Das Hausarztnetz Nord (HANN) will in den nächsten Tagen entscheiden, ob die Mediziner streiken. "Ich halte nicht so viel von Streiks, um unsere Interessen durchzusetzen. Da bringt die kontinuierliche Aufklärung der Patienten über unsere unzureichende finanzielle Ausstattung viel mehr", sagt Dr. Thomas Flamm vom HANN, in dem mehr als 30 Allgemeinmediziner aus Norderstedt und Umgebung zusammengeschlossen sind.

Wie viele seiner Kollegen spricht auch Flamm von "Unterbezahlung". Dabei gehe es nicht vorrangig um sein eigenes Einkommen, sondern darum, die Patienten angemessen versorgen zu können. "Doch während die Kosten in den letzten Jahren ständig gestiegen sind, stagniert unser Budget", sagt der Norderstedter Allgemeinmediziner. Die Arzthelferinnen bekommen mehr Geld, die Energiekosten explodieren, die Geräte würden teurer, von Investitionen ganz Schweigen. "Außerdem bekommen wir seit Jahren nicht den eigentlich mit den Kassen vereinbarten Honorarwert, sondern nur 60 Prozent davon", sagte Flamm.

+++ Die Geduld der Ärzte geht zu Ende +++

Es komme regelmäßig vor, dass das Honorar für ein EKG nicht mehr reicht und den Medizinern nur noch Gotteslohn bleibt. Flamm, der mit einem Kollegen eine Gemeinschaftspraxis betreibt, rechnet vor: Pro Quartal bekommen die beiden zusammen 70 000 Euro, im Jahr also 280 000 Euro. Davon gingen rund 200 000 Euro an Kosten ab. Bleiben für jeden 40 000 Euro brutto im Jahr. "Als reine Kassenpraxis kann man nicht überleben", sagt der Mediziner.

Die Kassenärztliche Vereinigung unterstützt die Forderungen der Ärzte

Auf der anderen Seite hätten die Kassen Milliarden gebunkert. Was die Bürger für ihre Krankenversicherung zahlen, müsse auch an sie zurückfließen und die medizinische Grundversorgung verbessern.

In den vergangenen Jahren hätten sich die Ärzte in Norderstedt eher moderat an Protestaktionen beteiligt. Das liege allerdings auch daran, dass viele schon älter seien und den Ruhestand vor Augen hätten. Doch was kommt dann? Flamm geht davon aus, dass Praxen schließen müssten, weil es keine Nachfolger geben werde. "Gerade die aktuelle Diskussion zeigt wieder, dass es wirtschaftlich unattraktiv ist, eine eigene hausärztliche Praxis zu führen.

+++ Ärzte brechen Honorar-Verhandlungen überraschend ab +++

Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) mit Sitz in Bad Segeberg unterstützt die Forderungen der Ärzte nach höheren Einnahmen. Angesichts der Kostensteigerungen in den Praxen sei der Vorschlag, die Honorare um 0,9 Prozent zu erhöhen, nicht akzeptabel, sagt der Sprecher der Vereinigung, Delf Kröger. Zwar sei die KVSH als öffentliche Körperschaft nicht berechtigt, zu Streiks aufzurufen. Doch sie erkläre sich mit den Ärzten solidarisch.

"Der Unmut und die Enttäuschung sind mit den Händen zu greifen", sagt Kröger über das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen. Das Unverständnis sei auch deshalb groß, weil die Versicherungen derzeit Überschüsse erwirtschaften: "Denen geht es gut."

Der KVSH-Sprecher betonte, dass nicht über das Einkommen der Ärzte gestritten werde, sondern um die Gesamtsumme, die für Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen soll.