Der Strich führt durch ganz Norderstedt. Kaum einer weiß eigentlich noch, warum. Radler und Fußgänger geraten schon aneinander.

Norderstedt. Momentaufnahme am Donnerstag auf der Rathausallee. Ein Fahrradfahrer in voller Fahrt herrscht einen Fußgänger auf dem Weg vor ihm an. "Machen Sie, dass Sie wegkommen! Das ist ein Radweg!" Der Fußgänger springt zur Seite. Und ist verwirrt. Wähnte er sich doch auf dem ganz legalen Fußweg. Der Radler hingegen fährt mit eingebauter Vorfahrt weiter, immer ganz eng entlang des gelben Striches, der auf der Rathausallee in Richtung Alter Kirchenweg auf dem Fuß- und Radweg verläuft. Schön, denkt er, dass die in Norderstedt den rot gepflasterten Radweg um einen gelb markierten Bonusbereich erweitert haben!

Doch so fahrradfreundlich Norderstedt sein möchte - so weit geht die Liebe zum Zweirad dann doch nicht. Wer sich erinnert und ein Fan der Landesgartenschau war, der weiß, dass der gelbe Strich nicht Radler auf Kosten von Fußgängern bevorzugen soll, sondern als eine Orientierungshilfe für die vor einem Jahr erwarteten Besuchermassen der Landesgartenschau aufgetragen worden war. Die Stadtverwaltung schickte die blumenbegeisterten Gäste auf den gelben Strich, per Pedes und Rad. Der Strich, immer wieder durchbrochen mit dem dreigliedrigen, grün-blau-gelben Signet der Gartenschau, führte sie vom Omnibusbahnhof, über die Rathausallee und den Alten Kirchenweg zum Gelände am Stadtpark.

Rote Radwege, gelbe Striche und keine klar Regelung mehr

Ein Jahr nach dem Großereignis wissen offenbar viele mit dem Strich nichts mehr anzufangen. "Und ich beobachte, dass Radfahrer auf dem Gehweg nebeneinander fahren, weil sie den gelben Strich als Radweggrenze sehen", sagt der Stadtvertreter Norbert Pranzas von der Fraktion Die Linke. Rote Radwege, gelbe Striche - das sei keine klare Regelung mehr. Pranzas: "Insofern ist die Sinnhaftigkeit des Striches heute infrage zu stellen!"

Und genau das tat der Stadtvertreter dann im Ausschuss für Verkehr. Dort berichteten auch andere Ausschussmitglieder von ähnlich heiklen Situationen zwischen Radfahrern und Fußgängern. Für Baudezernent Thomas Bosse waren das keine Neuigkeiten. "Während der Landesgartenschau gab es Beschwerden wegen des Striches. Doch zurzeit sind uns keine bekannt." Am schlimmsten sei es auf der Rathausallee - damals wie heute: viele Geschäfte, Markttage, Dienstleiter, starker Verkehr sowie Fußgänger und Radfahrer. Im Bereich der Arkaden habe der Strich für "ein gewisses Konfliktpotenzial" gesorgt, sagt Bosse.

Der Regen sollte ihn auflösen, aber die Farbe des Strichs war stärker

Soll der Strich deswegen jetzt mit teurem Personaleinsatz von der Stadt wieder weggekratzt werden? "Wir dachten ja eigentlich, dass er nach einem Jahr längst von alleine verschwunden ist", sagt Bosse. Der Regen hat zwar stark an der Auflösung der Farbe gearbeitet, doch der Strich erweist sich als widerspenstig. "Die Farbe war wohl eine gute", sagt der Baudezernent. Sein Vorschlag zur Güte: Die "Reminiszenz an die Landesgartenschau" wird der weiteren Verwitterung preisgegeben. Und nur falls die Konflikte weiter zunähmen und es Beschwerden hagele, werde die Verwaltung den finanziellen Aufwand nicht scheuen und den Strich manuell entfernen lassen. Im Übrigen: Dass Radfahrer auf dem Gehweg nebeneinander fahren, lasse sich nicht vermeiden und sei auch unabhängig von der gelben Linie im Stadtgebiet zu beobachten, sagt Bosse.

Das Abendblatt hat sich auf den gelben Strich auf der Rathausallee begeben und die Probe aufs Exempel gemacht: Wissen die Norderstedter eigentlich, worauf sie da rumlaufen und -fahren? "Ich habe keine Idee, wofür der ist", sagt Student Max Beckmann, 21. Aufgefallen ist ihm die gelbe Linie, nachgedacht hat er darüber aber noch nie. Manuela Gülke, 53, hingegen, die mit Hund Bubbles unterwegs ist, hat den Streifen noch gar nicht bewusst wahrgenommen. Die Norderstedterin, die momentan in Berlin wohnt, kann sich auch nicht erinnern, dass ihr der Streifen bei ihrem Besuch im Februar aufgefallen sei. "Das ist doch die Begrenzung zwischen Rad- und Fußweg, oder nicht?" Was dann aber der rot gepflasterte Fahrradweg soll, kann sie sich nicht erklären. "Vielleicht hat die Stadt etwas ganz Neues entdeckt und möchte mit dem Streifen darauf hinweisen", sagt Gülke.

Rentnerin Dorothea Herzog ist überzeugt, der gelbe Streifen sei die Trennung zwischen Rad-und Fußweg. "Für die Fußgänger bleibt dabei kaum noch Platz. Wenn der Bus kommt und die Menschen in Scharen ankommen, dann ist der Weg zu knapp", sagt sie.

Frank Aichlseder, Vater der vierjährigen Paula, die barfuß auf dem gelben Streifen herumhüpft, findet ihn richtig gut. "Offensichtlich ist er die Grenze zwischen dem Außenbereich der Cafés und dem Fußweg. Jetzt kann ich hier endlich weiter draußen sitzen", sagt er.

Schließlich finden sich noch Ortskundige. Agnes Denker, 53, kommt auf dem Rad gefahren: "Der Strich führt zum Stadtpark und wurde für die Landesgartenschau gemalt. Ich bin ihn schon abgefahren und es kam nie zur Verwirrung." Auch Jil und Malte Witowski, die sich gerade das Jawort im Standesamt gegeben haben, wissen Bescheid: "Wer aus Norderstedt kommt, der weiß, dass der Strich zum Stadtpark führt."