Der Archehof Bredland in Blunk bietet Spaziergänge mit einer Ziege als Begleiter an. Das soll offenbar gegen Alltagsstress helfen - ein Selbsttest.

Blunk. Ziege Erne geht drei Schritte, bleibt stehen und frisst genüsslich. Ich ziehe an der Leine, wieder trottet sie ein Stückchen und widmet sich erneut dem saftigen Grün am Straßenrand. Weiter bewegen lässt sie sich nicht. Das habe ich mir einfacher vorgestellt, als ich beschloss, als Journalistin einen Selbstversuch zu wagen und mit der Ziege in Blunk auf Entschleunigungs-Tour zu gehen. "Entweder sie mögen einen, oder sie mögen einen nicht". Diesen Satz von Inken Mohr vom Archehof Bredland, der den Ziegen-Spaziergang anbietet, habe ich noch im Ohr. Ich mache mir Sorgen, dass Erne mich eben nicht mag.

Mohr betreibt den Archehof seit acht Jahren zusammen mit ihrem Lebensgefährten Hardy Marienfeld. "Wir halten alte Haustierrassen, die vom Aussterben bedroht sind", berichtet sie. So finden sich in den Ställen um das gemütliche Bauernhaus herum zum Beispiel Meißner Widder, Skudden, Schwarzwälder und Schleswiger Kaltblüter, Vorwerkhühner, Pommernschafe, Angler Sattelschweine und eben Thüringer Wald Ziegen.

Nicht erreichbar sein, Stress abbauen - darum soll es bei der Ziegen-Tour gehen. Im Norden gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Angebote. Viele von ihnen gehören zu der Kampagne "Müßiggang in Schleswig-Holstein", die die Marketingkooperation Städte in Schleswig-Holstein vor eineinhalb Jahren startete. "Damals fingen die Menschen an, sich mit dem Thema ständige Erreichbarkeit zu beschäftigen", sagt Annette Ritter von Lübeck und Travemünde Marketing, Mitglied der Kooperation.

Ziegen als Begleiter eignen sich nach Angaben von Inken Mohr gut für eine Auszeit, weil sie ein ganz anderes Tempo als der Mensch haben und sich als wahre Feinschmecker gerne mal in Ruhe die besten Kräuter raussuchen. Das bekomme auch ich gleich zu Beginn zu spüren. Als ob die vierjährige Erne seit Monaten nichts zu Fressen bekommen hätte, bleibt sie an jeder Pflanze stehen.

Ich werde ungeduldig, schließlich liegt noch ein weiter Weg vor mir. Doch Mohr, die jeden Gast der Entschleunigungs-Tour die ersten Kilometer begleitet, erinnert mich an den Sinn des Spaziergangs: "Die Ziege testet aus, wie weit sie gehen kann", erklärt sie. "Man kann sie schon weiterziehen und leichten Druck ausüben, aber man sollte sich auch nach ihrem Tempo richten." Erne und ich müssen uns eben erst aneinander gewöhnen. Mohr hat die Ziege Minna an der Leine, mit sechs Jahren die älteste Ziege auf dem Hof. Und so biegen wir irgendwann von der Straße in einen Feldweg ab.

Gemächlich und mit vielen Pausen geht es vorbei an Maisfeldern, Schafweiden und einem Wasserschutzgebiet. Langsam werde ich ruhiger. Die Landschaft ist paradiesisch, und ich denke an das abgedroschene Sprichwort, dass der Weg das Ziel ist.

Nachdem wir etwa eineinhalb Stunden unterwegs sind und ich Erne inzwischen ab und an von der Leine lasse, erreichen wir das Tarbeker Moor. Erne streift durch die Büsche und sucht sich auch hier die leckersten Kräuter. Ich achte auf jeden meiner Schritte, um auf dem matschigen Grund nicht einzusinken. Erne scheint da sicherer zu sein. Sie weicht mir nicht von der Seite, als passe sie auf mich auf.

Es zuppelt an meinem Schreibblock. Erne knabbert daran herum, aber offenbar schmeckt er nicht so gut wie die Kräuter. Sie schmiegt sich an meine Beine. Es stimmt schon, was mir Mohr gesagt hat: Es dauert eine Zeit, bis sich die Tiere an den Menschen gewöhnt haben. Bei Erne ist es offenbar soweit. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man merkt, dass die Ziege Vertrauen gefasst hat.

Auf dem Hof zurück hat Mohr Brötchen mit selbst gemachter Leberwurst vom Sattelschwein und frisch gebackenes Kürbisbrot mit Marmelade vorbereitet. Es ist die Erinnerung an die Kindheit, an Ferien auf dem Bauernhof, die so gut tut und in Verbindung mit den vielen Stunden an der frischen Luft eine unheimliche Ruhe in mir aufsteigen lässt. Hoffentlich kann ich mir die noch einige Zeit bewahren - auch, wenn ich wieder ohne Ziege Erne unterwegs bin.