Im Kuhstall von Gut Pronstorf las Ulrich Noethen vor 800 Zuhörern Texte des deutschen Schriftstellers, der vor 50 Jahren starb

Pronstorf. Da sitzt er. Hoch oben auf dem Podium. Der Mann, der im Kinofilm "Der Untergang" Himmler spielte und in "Gripsholm" Tucholsky, der in diesem Jahr in "Sams im Glück" als Bruno Taschenbier zu sehen ist, für "Die Luftbrücke" die Goldene Kamera und für mehrere Filme den Grimme-Preis erhielt. Nun also Ulrich Noethen als Vorleser auf der Bühne.

Eine schwierige Disziplin. Immerhin sitzen im Kuhstall von Gut Pronstorf 800 Zuhörer vor ihm beim Lese-Konzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals. 800 Menschen, die wissen wollen, ob er das auch kann. Obwohl er das mit mehrfach hochgelobten Hörbüchern wie Thomas Manns "Doktor Faustus" oder Hermann Hesses "Demian" bereits exzellent bewiesen hat. In Pronstorf gibt er eine Hesse-Hommage.

Ulrich Noethen guckt freundlich zurückhaltend ins Publikum, setzt sich an den Lesetisch: "Wie jede Blüte welkt und jeden Jugend dem Alter weicht..." Hesses berühmtes Gedicht "Stufen". Noethen liest das mit tiefem Ernst, fast betont sachlich, bar jeder Romantik, mit der Hesses Werke oft verkitscht werden. Ulrich Noethen macht aus dem Gedicht eine wunderbare Weise, und es ist, als höre man es zum ersten Mal.

Die Pianistin Hideyo Harada nimmt diese tief berührende Stimmung gleich mit den ersten Klängen des Impromptus As-Dur, Opus 142, Nr. 2, auf, eine kongeniale Pianistin, die Hesses Texte mit Werken von Mozart, Schubert, Schumann, Debussy, Chopin und des 55-jährigen Komponisten Tan Dun begleitet. Die Werke des chinesischen Komponisten faszinieren durch ihre knappe, moderne Sprache bei gleichzeitigem Klangreichtum.

Die Musikstücke sind bedacht ausgewählt und erzählen ebenso von Hesses tiefer Liebe zur Musik wie die Texte und Briefe, die Ulrich Noethen rezitiert: "Was wäre unser Leben ohne Musik?", fragt Hesse. Die zweite große Liebe des Dichters galt China, das er 1911 auf seiner Reise nach Indien entdeckte und dem er "unbedingte Stärke und Zukunft" voraussagte.

Noethen interpretiert die Hesse-Texte, Briefe und Musikabhandlungen voll Respekt vor dem Schriftsteller, der heute in einem Zug mit Thomas Mann genannt wird. Ohne Hesse imitieren zu wollen, nahm er gleichsam dessen Haltung und Innerlichkeit an. Ulrich Noethen ist eben auch in seinen Lesungen ein großer Schauspieler, von seiner präzisen Sprache - eine Seltenheit auch unter Schauspielern - ganz zu schweigen.