Fünf Menschen sitzen gelangweilt auf einer schmucklosen Betonterrasse in der Sonne. Sie schauen alle in die gleiche Richtung. Vor ihnen liegt eine karge Landschaft. Ist es ein riesiges abgeerntetes Feld? Im Hintergrund ragen schwarze Berge empor. Einer von den fünfen liest, aber das Buch scheint ihn nicht zu interessieren. Keiner redet mit dem anderen, jeder ist für sich. Die Kleidung der Menschen fällt mir auf. Sie sind wie für einen besonderen Anlass angezogen. Aber es scheint nichts zu passieren. Nichts. Das Sonnenlicht, das dieses gespenstische Zusammensein bestrahlt, ist gleißend. Ein Wunder, dass die fünf es da überhaupt aushalten.

Edward Hopper malte 1960 das Bild "People in the Sun". Für mich ist es ein kritischer Kommentar zum Zeitgeist damals wie heute. Als wollte Hopper sagen: "Schaut euch doch an. Gut ausgestattet mit allem führt ihr nebeneinander euer einsames, gelangweiltes Leben. In euch sieht es aus wie die Landschaft, auf die ihr blickt: leer. Aber dabei seid ihr immerhin gut angezogen. Merkt ihr, wie hart das Licht ist, das auf euch scheint?"

Künstler müssen provozieren, überzeichnen, um verstanden zu werden - so wie Propheten. Hoppers Kritik an unserem Lebensstil ist krass. Nicht ganz und gar, aber immer wieder empfinde ich sie als treffend. Unser Wohlstand schafft eines nicht: die Überwindung von Einsamkeit. Und viele von uns fühlen sich einsam, glaube ich.

Es ist für mich fast wie eine Art Erlösung, wenn ich neben das Bild von Hopper ein anderes halte. Sie haben es ganz sicher schon einmal gesehen: die "Caféterrasse am Abend". Knapp hundert Jahre vor Hopper, 1888, fängt Vincent van Gogh ein ganz anderes Licht ein. Es ist das Licht einer kleinen Laterne, die an der Wand der Caféterrasse hängt und das Bild weltberühmt gemacht hat. Die ganze städtische Abendszene wird bestimmt durch dieses magische warme Orange, das sich auf der Wand und der Pergola abbildet.

Zu den fünf einsamen Menschen würde ich mich nur widerwillig legen. Ich wäre zu bedrückt. Aber an einen dieser Cafétische würde ich mich sofort setzen, am besten mit einem mir lieben Menschen. Ich höre beim Hinschauen schon die Stimmen der anderen Gäste. Sie würden mich nicht stören, sondern anregen, meinem Gegenüber zuzuhören und von mir zu erzählen.

Es würde sich um uns trotz der vielen Menschen eine Art unsichtbarer bergender Raum bilden, durch den wir miteinander verbunden wären. Wir würden uns begegnen. Ich stelle mir eine Stimmung vor, in der wir uns füreinander öffnen könnten und in der andere willkommen wären. Die einladende Geborgenheit, die von dem Café ausgeht, entsteht allein durch das Licht einer kleinen Laterne.

So stelle ich mir das verletzliche Licht vor, wenn ich Jesus sagen höre: "Ich bin das Licht der Welt; alle, die mir folgen, werden nicht mehr in der Finsternis umherirren, sondern das Licht des Lebens haben." (Johannesevangelium, Kapitel 8, Vers 12).

Wie gerne würde ich die fünf Menschen aus dem gleißenden Sonnenlicht auf die Caféterrasse einladen!

Pastor Martin Lorenz von der Emmaus-Kirchengemeinde Norderstedt