Eine Glosse von Claudia Eicke-Diekmann

Ich glaube an das Gute im Menschen und ich gehe stets davon aus, dass die Menschen, mit denen ich es zu tun habe, ehrlich sind. Ich habe mir sagen lassen, dass diese Haltung sehr naiv ist. Aber ich kann sie einfach nicht ablegen. Diese positive Grundeinstellung zum Leben führt möglicherweise dazu, dass mir selten Negatives widerfährt. Das führt aber auch dazu, dass ich - was meinen Besitz angeht - sehr unachtsam durch die Welt marschiere. Ich schließe mein Auto nicht ab. Vielleicht hat deshalb nie jemand versucht, es aufzubrechen? Ich lasse immer mal wieder irgendwo mein Portemonnaie liegen - jedes Mal trägt es mir ein Mitmensch hinterher, bevor ich den Verlust bemerkt habe.

Wenn es dann aber doch passiert - wie kürzlich, als mir auf einem Weihnachtsmarkt eine Papiertüte voller Euro-Stücke unbemerkt aus der Handtasche gezogen wurde - bin ich tagelang niedergeschmettert. Ich versuche zu verstehen: Was treibt einen Menschen dazu, ausgerechnet in meine Tasche zu greifen und einen zerknitterten Umschlag herauszufischen? Wie viel Energie muss er darauf verwendet haben, mich zu beobachten, zu verfolgen und den geeigneten Moment abzupassen? Brauchte er Geld? Warum hat er mich nicht einfach gefragt? War er in Not? Mein Gemütszustand verändert sich über Tage. Ich bin verzweifelt, beleidigt, frustriert, böse, verliere mich in Selbstmitleid - bis die Freunde mein Gejammer stoppen: "Mach einfach beim nächsten Mal Deine Tasche zu und schlepp nicht das ganze Geld offen mit Dir rum."

Danke für den Tipp.