Tierarzt musste sich vor Gericht verantworten. Der 73-Jährige fühlte sich von dem “Theater“ genervt und verletzte den Mann am Knie

Kaltenkirchen. Jedes Jahr ärgert sich Tierarzt Hans-Joachim B., 73, am 1. Mai über den traditionellen Stadtlauf in Kaltenkirchen. An diesem Tag ist nämlich die Innenstadt gesperrt, und der Veterinär kann nicht auf seinem gewohnten Weg in seine Praxis fahren. Zwar arbeitet B. nur noch an Wochenenden oder als Urlaubsvertretung für seinen Nachfolger, aber ausgerechnet am Tag der Sportveranstaltung ist es dem Arzt regelmäßig ein dringendes Anliegen, durch die für den Durchgangsverkehr gesperrte Schützenstraße zu seiner Praxis zu fahren.

Ordner Eric B., 30, der als Mitarbeiter der Feuerwehr an der Ecke Schützenstraße/Wulfskamp alljährlich die in der Regel verständnisvollen Autofahrer umleitet, gerät jedes Jahr mit dem Tierarzt aneinander. Der 73-Jährige will einfach nicht einsehen, dass er nicht seinen üblichen Weg benutzen darf und beschimpft die Ordner, so auch in diesem Jahr. Eric B. lässt sich nicht provozieren. Der junge Mann hat sich angewöhnt, per Funk die Motorradpolizei zu rufen, wenn der Tierarzt sich mit seinem Geländewagen der Absperrung nähert. In diesem Jahr ging Hans-Joachim B. jedoch zu weit: Nach den üblichen Pöbeleien war er mit seinem Wagen schon so weit vorgefahren, dass das Absperrband auf seiner Motorhaube lag. Eric B. stand vor dem Wagen in etwa eineinhalb Metern Abstand und wollte gerade die Polizei anfunken, als der Tierarzt mit den Worten "das Theater nervt mich jedes Jahr" Gas gab und gegen das Bein des Ordners fuhr. Der 30-Jährige knickte im Kniegelenk ein und musste sich an die Motorhaube klammern, um nicht umzufallen. Als Eric B. zurückwich, fuhr der Tierarzt weiter und trieb den Feuerwehrmann ein Stück vor sich her.

Eric B. erlitt eine schmerzhafte Prellung am Knie, das später anschwoll und ärztlich behandelt werden musste. Vor dem Amtsgericht in Norderstedt saß Hans-Joachim B. wegen dieser Vorgänge nun schon zum zweiten Mal auf der Anklagebank. Vorgeworfen wird ihm gefährliche Körperverletzung, Nötigung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Beim ersten Prozesstermin im September hatte der Angeklagte behauptet, er habe den Fuß von der Bremse genommen, weil er seinen Automatikwagen in die Parkstellung schalten wollte. Dabei sei der Wagen ein Stückchen gerollt - es sei keine Absicht gewesen. Diese Aussage wiederholt der Angeklagte in diesem Termin.

Richter Reinhard Leendertz hat jetzt einen Sachverständigen geladen, der Auskunft darüber geben soll, ob sich der Vorfall so abgespielt haben kann. Der Sachverständige hat sich den Ort des Geschehens angesehen und keinerlei Steigung festgestellt, insbesondere keine abschüssige Fahrbahn, die der Verteidiger zugunsten seines Mandanten ins Feld führte. Beim Umschalten des Automatikgetriebes könne es, wenn man die Bremse zu früh los ließe, zu einem ungewollten Vorwärtsrollen kommen, so der Sachverständige. Der Pkw würde aber höchstens einige Zentimeter rollen. Ein Berühren des Zeugen war also aus Versehen nicht möglich.

Die Staatsanwältin beantragt für den bisher nicht vorbestraften Angeklagten wegen eines minder schweren Falles der Straßenverkehrsgefährdung eine Geldstrafe von 4800 Euro. Außerdem müsse die Fahrerlaubnis, die im Juli eingezogen wurde, noch für weitere acht Monate gesperrt bleiben.

Richter Leendertz kommt nach einiger Bedenkzeit zu einem anderen Ergebnis: Er verurteilt den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 2100 Euro. Nach Meinung des Richters liegen weder eine Straßenverkehrsgefährdung noch eine vorsätzliche Körperverletzung vor, denn der Angeklagte habe den Ordner nicht verletzen wollen.

Den Führerschein gibt der Richter dem Angeklagten an Ort und Stelle zurück. Drei Monate ohne Fahrerlaubnis seien als Ahndung ausreichend.