170.000 Mediziner haben am European Surgical Institute in Norderstedt innerhalb von 20 Jahren die Schlüsselloch-Chirurgie gelernt.

Norderstedt. Wer heute seinen Blinddarm hergeben muss, einen Leistenbruch operieren oder seine Gallenblase entfernen lässt, behält keine großen Narben zurück. Möglich macht das die minimal-invasive Chirurgie, die zudem die Behandlungszeit und den Schmerz verringert. Inzwischen gehört die sogenannte Schlüsselloch-Chirurgie zum Standard-Repertoire der Mediziner. Wesentlichen Anteil daran hat eine Einrichtung in Norderstedt: Am European Surgical Institute (ESI) lernen Fachärzte aus aller Welt seit 20 Jahren den Umgang mit dem OP-Besteck, das nur noch kleine Löcher in der Haut hinterlässt. Der Geburtstag eines Norderstedter Aushängeschildes ist Anlass für Aus- und Rückblick.

Das ESI ist eines der führenden Aus- und Weiterbildungsinstitute weltweit

Das Schulungszentrum in Glashütte hat bisher 170 000 Ärzte aus- und weitergebildet. Das Unternehmen, das zum internationalen Medizinkonzern Johnson & Johnson gehört, gilt nach wie vor als eines der führenden Aus- und Weiterbildungsinstitute weltweit. Seit 1991 ist die Zahl der jährlichen Kursusteilnehmer kontinuierlich auf rund 14 000 gestiegen.

"Inzwischen gibt es relativ viel Konkurrenz. Und es gibt einen weiteren Faktor, der uns vor neue Herausforderungen stellt: der Kostendruck im Gesundheitswesen", sagt Dr. George Alevizopulos, seit einem Jahr Leiter des ESI. Das Personal in den Kliniken sei knapp, die zunehmende Bürokratie fordere viel Zeit. Die Krankenhäuser stellten die Ärzte nur ungern für Aus- und Weiterbildung ab, und sie hätten auch immer weniger Geld, um die meist zwei- bis dreitägigen Kurse zu bezahlen.

Doch der ESI-Chef hat schon Ideen, wie sich die Zukunft des renommierten Schulungszentrums sichern lässt: "Wir werden versuchen, unser Angebot zu dezentralisieren und andere Länder mit ins Boot zu holen", sagt der Grieche, der verheiratet ist und zwei Kinder hat. In den Schwellen- und Entwicklungsländern sei der Bedarf an gut ausgebildeten Fachärzten enorm. Am ESI könnten die Trainer geschult werden, die dann in ihren Ländern wiederum die Ärzte weiterbilden. "Dafür gibt es ein enormes Potenzial", sagt Alevizopoulos.

Gute Chancen eröffne zudem die Technologie, die sich kontinuierlich weiterentwickele. Schon jetzt werden die "Single-Port-OPs" angewendet - dabei kommt der Chirurg mit einem einzigen Einschnitt aus, er führt OP-Werkzeuge und Kamera durch dieselbe Öffnung ein. Die Zukunft gehöre zudem den OP-Robotern, die weder das natürliche Zittern der Hände noch die Erschöpfung bei einem mehrstündigen Eingriff kennen.

Mit den Operations-Simulatoren ist das ESI auf dem aktuellen Stand der Technologie. Vor zwei Jahren wurden die virtuellen Trainer erstmals gestartet, an 20 der jeweils rund 160 000 Euro teuren Geräten können Mediziner gleichzeitig für den Ernstfall üben - damit hat das Schulungsinstitut in Norderstedt weltweit erneut Maßstäbe gesetzt. Möglich macht das eine spezielle Software, die die Krankendaten eines Patienten in den Simulator übertragen und ihn virtuell klonen kann. "Auf dem Bildschirm sind nicht nur die inneren Organe zu sehen, an denen der Eingriff vorgenommen werden soll. Die Operation kann authentisch vorweggenommen werden", sagt der ESI-Leiter.

Der Operateur schneidet mit einem Instrument, das mit dem Fuß zu bedienen ist, per Ultraschall beispielsweise ein 40 Zentimeter langes Stück aus dem Darm und näht ihn virtuell wieder zu. Nach 90 Minuten ist die OP zu Ende. Zwischendurch konnte erfolgreich eine Blutung mit einer Titanklemme gestillt werden. Abschließend erhält der Übende eine exakte Fehlerliste - unter anderem mit dem Hinweis, die Operationstechnik der linken Hand zu verbessern.

Wenn Mediziner einen solchen Eingriff im ESI-Labor üben, verwenden sie nicht nur sämtliche OP-Instrumente, wie sie später im echten OP-Saal für die minimal-invasive Chirurgie zum Einsatz kommen. Der Simulator vermittelt auch ein haptisches Gefühl: Der Proband spürt, wenn er einen Gallenstein entfernt, eine Wunde vernäht und eine Klemme setzt. Die Mediziner lernen auf zwei Ebenen in dem hellen und modernen Gebäude. Die zehn Konferenzräume können zwischen zehn und 120 Teilnehmer aufnehmen. In fünf Laboren trainieren die Mediziner ihre Fingerfertigkeit. "Bevor sie überhaupt an Organen üben, müssen sie mit den OP-Geräten eine Streichholzschachtel öffnen und ein Hölzchen herausnehmen", sagt ESI-Sprecher Moritz Doering. Dann kommen Fasszangen und andere Spezialgeräte am Plastikmagen zum Einsatz, ehe die Ärzte an Organen vom Schlachthof ihre OP-Technik verbessern. Nebenan geht es um das Einsetzen künstlicher Hüftgelenke, und die Kardiologen setzen Stents, die Herzkranzgefäße weiten.

"Auch das mentale Training spielt eine zunehmende Rolle", sagt Doering. Wie Hochleistungssportler prägen sich die Ärzte die einzelnen OP-Sequenzen ein und gehen sie vor dem Eingriff durch - eine Routine, die Abläufe automatisiert und damit die Sicherheit erhöht. Prunkstück ist der große Hörsaal, der Platz für 334 Teilnehmer bietet. "Den Saal nutzen wir für internationale Symposien", sagt der ESI-Sprecher.

Die 50 Millionen Dollar wurden bis auf den letzten Cent ausgegeben

Uwe Petersen, damals Geschäftsführer der Johnson-&-Johnson-Tochter Ethicon, hatte Ende der 80er-Jahre die Idee für das Ausbildungszentrum - nicht ganz uneigennützig, produziert Ethicon doch endoskopische Artikel für die Schlüsselloch-Chirurgie. Petersen brauchte ein Konzept, um bei der Mutter das Geld für die Investitionen loszueisen. Er beauftragte den jungen Chirurgen Dr. Jürgen Brenner damit, der bei seiner Reise um die Welt keine ähnliche Einrichtung gefunden hatte.

Johnson & Johnson bewilligte 50 Millionen Dollar für den Neubau am Hummelsbütteler Steindamm. "Diese Summe haben wir bis zum letzten Cent ausgegeben, aber nicht mehr", sagt Brenner, der den ersten Kursus noch selbst leitete und heute stolz feststellt: Von den 21 Teilnehmern sind alle Professoren und Chefärzte geworden.