Im Jahr 586 vor unserer Zeitrechnung wurden Jerusalem und der Tempel durch fremde Mächte zerstört. Tote über Tote, Feuer, Hungersnot, Wohnungsnot - unendlicher Schmerz, unendliche Trauer.

Solche Katastrophen durchziehen die Menschheitsgeschichte von Beginn an. Und schon immer haben die Künstler, die Literaten und die Religionen versucht, dem Elend der Lebenden durch Bilder, Worte oder Musik einen Ausdruck zu geben.

Da, wo der Schmerz uns sprachlos macht, versuchen Künstlerinnen und Künstler zur Sprache zu bringen, was einem in der Kehle stecken zu bleiben droht. "Ich habe mir fast die Augen ausgeweint, mein Leib tut mir weh, mein Herz ist auf die Erde ausgeschüttet ... weil die Säuglinge und Unmündigen auf den Gassen in der Stadt verschmachten". So heißt es in den Klageliedern, einem nicht sehr bekannten Teil des Alten Testamentes.

Das Klagen ist eine Fähigkeit, die sich viele Menschen abgewöhnt haben oder die ihnen abgewöhnt wurde. "Es tut mir weh" oder gar "du tust mir weh" sind Sätze, die nicht so leicht über die Lippen kommen wollen. In ihnen scheint sich Schwäche, Ohnmacht und Hilflosigkeit auszudrücken - und wer will in unserer heutigen Gesellschaft schon schwach, ohnmächtig und hilflos sein?

Allerdings, so weiß es die Psychologie genauso wie die Religion, bleibt die Klage im Hals stecken, so vernebelt sie das Gemüt der Menschen, den Verstand und nicht zuletzt auch die Hoffnung. Im Schmerz halten wir die Luft an - in der Klage atmen wir aus, schreien oder weinen heraus, was sich sonst im Inneren vermauern würde. Es geht nicht um Klagen als Waffe gegen andere, sondern um den gerechten Ausdruck von Schmerz, Leid und Elend.

Hat man durch die Klage wieder Luft bekommen, kann wieder atmen, dann erst besteht die Chance, sich des Guten in seinen Erfahrungen und seinem Inneren zu erinnern.

Das Gute in uns kann unterschiedliche Namen haben. Es sind Erfahrungen mit der Liebe, geliebt zu werden und zu lieben. In den Klageliedern wird das so ausgedrückt: "Die Güte Gotte ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende."

Wer mehr wissen will: Am Sonntag wird in den meisten Kirchen darüber gepredigt werden.

Dr. Horst Kämpfer ist Pastoralpsychologe im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein