Rund 2000 Menschen feierten in Norderstedt das Erntedankfest. Die Nordelbische Kirche fordert bewussteren Umgang mit Lebensmitteln.

Norderstedt. "Die Verbraucher haben das Vertrauen in die Lebensmittel verloren", sagte Jens-Walter Bohnenkamp, Vorsitzender des Ortsbauernverbands Norderstedt in seiner Ansprache zum Erntedankfest im Norderstedter Rathaus. Ob Papayas aus Brasilien oder Kiwis aus Neuseeland, es sei fast alles jederzeit zu kaufen. Der Wettbewerb der Discounter und Lebensmittel-Märkte führe dazu, dass die Produkte zum Teil weit unter Wert "verramscht" würden. Das Bewusstsein über Herkunft, Ernte und Verarbeitung sei geschwunden.

Dabei habe gerade dieses Jahr gezeigt, dass es keine Garantie für eine gute Ernte gebe. Erst der strenge Frost im Winter ohne schützende Schneeschicht, dann die Trockenheit im Frühjahr und der Sturzregen im August mit bis 900 Milliliter pro Quadratmeter - die Landwirte hätten bei weitem nicht das einfahren können, was sie erwartet haben. Sie hätten Einbußen von bis zu 20 Prozent verkraften müssen.

"Die Natur zeigt uns immer wieder, dass sie nicht beherrschbar ist. Deswegen ist Erntedank auch heute noch zeitgemäß", sagte Bohnenkamp. Weiteres Beispiel dafür sei die EHEC-Krise gewesen, die den Vertrauensverlust verschärft habe. Der Ortsbauernchef ruft die Menschen auf, bewusster mit Nahrungsmitteln umzugehen, vielleicht im Garten selbst Gemüse anzubauen, zu ernten und zu kochen. An seine Kollegen appellierte er, den Dialog mit den Verbrauchern zu suchen. Nur so lasse sich Vertrauen zurückgewinnen.

Ähnlich äußerte sich Gothart Maagard, Bischofsbevollmächtigter der Nordelbischen Kirche im Sprengel Schleswig und Holstein, der die Menschen zu einem bewussteren Umgang mit Lebensmitteln aufforderte. Nach Schätzungen des Verbraucherministeriums wirft jeder Deutsche jährlich Lebensmittel im Wert von 330 Euro in den Müll. Warum werden Lebensmittel in unserer Gesellschaft so wenig wertgeschätzt? Magaard: "Dass so viele Lebensmittel in den Müll wandern, ist schlicht inakzeptabel, wenn so viele Kinder auf dieser Erde immer noch hungern müssen."

Ein Grund könne unsere naturfremde Lebensweise sein: Die Milch komme nicht mehr von der Kuh, sondern aus dem Supermarkt. Erdbeeren gebe es zu jeder Jahreszeit zu kaufen. Fertigprodukte wie Tiefkühl-Pizza und Pommes sparten Zeit und seien praktischer. Deutschland habe mit die niedrigsten Lebensmittelpreise in Europa. "Vielleicht müssten Nahrungsmittel mehr kosten, damit wir ihren Wert besser schätzen können. Das wäre auch gelebte Solidarität mit Menschen in den armen Ländern, die mit ein paar Dollar am Tag auskommen müssen und häufig nicht einmal Grundnahrungsmittel bezahlen können", sagte der Bevollmächtigte.

"Die Katastrophen überall auf der Welt führen uns immer wieder unsere Beschränktheit und die geringen Einflussmöglichkeiten vor Augen. Mit dem Erntedankfest können wir gerade in der heutigen Zeit unsere Ehrfurcht vor der Natur und unsere Dankbarkeit gegenüber Gott zeigen, dass er auf die Früchte auf den Feldern wachsen lässt", sagte Norderstedts Stadtpräsidentin. Und Carolin Paap, Pastorin der Paul-Gerhardt-Gemeinde, appellierte an die Zuhörer, sich bewusst für den Erhalt der Welt einzusetzen. "Das kann jeder von uns mit seinen ganz persönlichen Aktivitäten."

Diesmal fand der Erntedank-Gottesdienst auf dem Landesgartenschau-Gelände statt. Von dort zogen die festlich geschmückten Wagen vor das Rathaus. Bis zum Eintreffen stimmten die Chorgemeinschaft Alster Nord und der Frauenchor Norderstedt von 1986 die Besucher auf das Hochziehen der Erntekrone ein. Neben der Krone harrten Britta, Alice, Nele und Rebecca in ihren trachten geduldig aus, bis der Festakt beendet war. Die vier wissen übrigens, dass Kartoffeln in der Erde wachsen und Kühe die Milch geben.

Bei herrlichem Spätsommerwetter drängten sich rund 2000 Besucher auf dem Rathausmarkt. Sie stärkten sich mit Erbsensuppe und einem Bier dazu, sahen sich die historischen Erntemaschinen und die Landwirtsfamilien in ihren Trachten an, holten sich einen Beutel Kartoffeln ab oder versuchten, einen Kohlkopf zu ergattern. Da reichte es allerdings nicht, einfach den Arm auszustrecken und "hier" zu rufen. Wer von Reiner Burmeister und Karl-Heinz Behncke Weiß- und Rotkohl haben wollte, musste wissen, welches Wappen zu welchem Bundesland gehört.

Bis zum Beginn der Adventszeit wird die Erntekrone im Rathaus-Foyer hängen. "Sie soll sichtbares Zeichen unserer Dankbarkeit sein und die Menschen zum Innehalten anregen", sagte die Stadtpräsidentin.