In der Schule am Marschweg in Kaltenkirchen verstehen sich die Lehrer nicht vorrangig als Fachlehrer, sondern als Pädagogen

Ganz rechts steht der Altbau, daneben und davor der sogenannte Mittelbau. Und weil auf einen Neubau ein weiterer folgte, tragen beide die Nummern eins und zwei. Nummer zwei haben Schüler, Eltern und Lehrer erst im vergangenen Juni eröffnet. Die Schule am Marschweg in Kaltenkirchen wächst seit Jahrzehnten und spiegelt damit die Entwicklung der Stadt wieder: Aus dem Dorf mit 500 Einwohnern wurde ein Mittelzentrum mit 20 000 Einwohnern. Die einstige Dorfschule, die inzwischen 98 Jahre alt ist, wuchs mit und wird im kommenden Jahr bis zu 600 Schülern Platz bieten.

Wann es einmal weniger werden, wagt Schulleiter Klaus Noack nicht vorherzusagen. Nur eines ist sicher: Der in vielen Landesteilen prognostizierte Rückgang der Schülerzahlen ist nicht in Sicht. Als Noack 1999 die Schulleitung übernahm, war von einer Gemeinschaftsschule an diesem Standort noch keine Rede. Am Marschweg unterrichteten Realschullehrer Mädchen und Jungen mit dem Ziel, sie zum Realabschluss zu führen.

Das Abitur kann man an der Schule (noch) nicht ablegen

Jetzt sitzt bereits der dritte Jahrgang der Gemeinschaftsschule in den Klassenzimmern. Entweder werden die Kinder am Marschweg den Realschul- oder den Hauptschulabschluss absolvieren. Eine Oberstufe mit der Möglichkeit, die Abiturprüfung abzulegen, lehnt der Schulträger - der Schulverband Kaltenkirchen - ab. "Unser Bestreben ist es dennoch, dorthin zu kommen", sagt Klaus Noack. Zusätzliche Lehrer müsste das Land bezahlen, Fachräume und andere Investitionen der Schulträger.

In den Klassen sitzen Schüler mit Gymnasialempfehlung neben Kindern, die weniger leistungsfähig sind. Differenziert wird erst ab Klasse 7, aber nur in den Fächern Mathe und Englisch. 32 Kinder in einer Klasse, die gemeinsam Englisch lernen, sind eindeutig zu viel, sagt Noack. Darum werde differenziert unterrichtet. "Andernfalls werden wir den Kindern nicht gerecht"; sagt Noack. "Weder denen, die wir fördern müssen, noch denen, die wir fordern wollen." Auch im Deutsch prüft der Schulleiter mit seinem Kollegium, Klassen in Gruppen mit starken und schwachen Schülern aufzuteilen.

Noack führt Besucher gern durch die Neubauten. Im ersten Stock haben die Lehrer neue Räume erhalten. Im Erdgeschoss ist hinter meterhohen Fenstern eine schlichte, aber ansehnliche Aula mit 350 Plätzen, einer Bühne und einer modernen Licht- und Audioanlage entstanden. Daneben befindet sich die kleine Mensa, die besonders gern von den Schülern genutzt wird, die nachmittags in die Offene Ganztagsschule gehen.

Doch eine Schule ist mehr als Gebäude und Personal, Schüler und Lehrplan. Gibt es an der Marschwegschule einen gemeinsamen Geist? "Ja" sagt Klaus Noack. Schon am ersten Tag in der Schule sei ihm aufgefallen, dass die Lehrer sich nicht vorrangig als Fachlehrer, sondern als Pädagogen verstehen. "Die Kollegen fühlen sich für das einzelne Kind zuständig", sagt Noack.

Die Schüler können alle Lehrer auch in den Pausen ansprechen

Diesen gemeinsamen Geist könne kein Schulleiter und kein Ministerium anordnen. Er müsse wachsen und gepflegt werden. "Wenn neue Lehrer zu uns kommen und diese Art der Arbeit erleben, übernehmen sie das", sagt der Schulleiter stolz. Somit erhalte sich ein stabiles Team mit gleichen Zielen. Dabei sei der Marschwegschule zugutegekommen, dass sie bei der großen Schulreform vor drei Jahren nicht mit anderen Schulen zusammengelegt wurde.

"Als Kind spürt man, ob ein Lehrer sich für die eigene Person interessiert", sagt eine Lehrerin. "Das fängt schon damit an, dass wir die Kinder beim Grüßen mit ihrem Namen ansprechen." Die Lehrer sind in den Pausen für die Kinder ansprechbar. Noack freut sich außerdem, dass auch die Eltern eng in die Schule eingebunden sind. Sie geben die meisten Kurse beim Nachmittagsprogramm der Offenen Ganztagsschule.

Nach langer Bauzeit verfügt die Schule auch über eine Aula und eine Mensa

Auch die Vorsitzende des Schulelternbeirats, Gaby Lackner, ist vom Engagement der Lehrer angetan. "Hier sind viele Lehrer, die arbeiten, weil sie Spaß daran haben", sagt die Mutter eines 15 Jahre alten Mädchen, das die zehnte Klasse besucht. Inzwischen findet Gaby Lackner es schade, dass ihre beiden anderen Kinder, die inzwischen erwachsen sind, nicht zur Marschwegschule gehen konnten, weil damals die Kapazitäten ausgelastet waren.

Selbst die Schüler loben die Lehrer. "Alle sind gleich nett und einfühlsam", sagt Schülervertreterin Jacqueline Mattheus, 16. Sie und ihre Mitstreiterinnen Kadriye Cete, Finja Riebe und Jessica Straß sind froh, dass die Schule nach langer Bauzeit über eine Aula und eine Mensa verfügt. Die Aula eigne sich zum Beispiel für Einschulungsfeiern, Musikabende und Abschlussbälle, sagt Finja. Sie ist außerdem froh, dass die einst marode Sporthalle mit dem undichten Dach wieder der Schule zu Verfügung steht.

"Wir werden gut aufs Leben vorbereitet", sagen die Mädchen. Die Schule bietet in den Wahlpflichtkursen zum Beispiel Unterricht zu den Themen Recht und Erziehung. Außerdem gehören Kurse dazu, in denen die Schüler lernen, worauf man in der ersten eigenen Wohnung achten sollte und wie man sein Essen zubereitet.

Zu den charakteristischen Merkmalen gehört nach Noacks Angaben darüber hinaus das Projekt "Gläserne Schule", das seit zwölf Jahren zum Programm der Schule am Marschweg gehört. Dabei geht es um Suchtvorbeugung, die mit einem Rauchverbot begann, lang bevor Verordnungen und Gesetze den Tabakkonsum in den Schulen untersagten.

Regelmäßig befragt die Schule die Jungen und Mädchen über Suchtprobleme. "Das ist die Voraussetzung für Prävention", sagt Noack. Dabei gehe es nicht nur um Drogen oder Alkohol. Junge Schüler sind beispielsweise fürs exzessive Spielen am Computer anfällig. Der Schulleiter: "Dafür kann schon mal eine Nacht draufgehen."

Zum Projekt gehört auch eine jährliche Abstinenz-Aktion. Die Schüler stecken sich Ziele und legen fest, worauf sie in den kommenden zwei Wochen verzichten wollen, zum Beispiel auf Süßigkeiten oder den täglichen TV-Konsum. Dabei sollen sie Alternativen entwickeln, wie sie ihre Zeit neu gestalten und wie sie sich belohnen, wenn alles geschafft ist. "Dabei werden sie von ihrem Klassenlehrer begleitet", schreibt die Schule auf der Homepage. "Selbstverständlich kann auch die ganze Familie mitmachen - das wäre sogar von Vorteil. Auf diese Weise haben es auch schon einige Eltern geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören."