Wie sollte man dem Erinnern an den 11. September 2001 in den letzten Tagen und Wochen entkommen? Es ging nicht.

Fernsehen und Zeitungen waren und sind voll davon. Ich bin darüber in keiner Form genervt. Vielmehr bin ich erschrocken, wie viele Jahre schon vergangen sind und wie wenig man heute noch berührt wird von den Nachrichten über weitere tote Zivilisten und Soldaten aller Nationen und Religionen. Krieg ist normal geworden und weit weg.

Natürlich erinnere ich mich auch genau daran, wo ich an diesem Tag war. Ich saß an meinem Schreibtisch, hatte vor einem halben Jahr mein erstes Examen gemacht und brütete nun über meinem Promotionsthema. Da rief mein jüngster Bruder an und sagte immer wieder ins Telefon: "Schalt den Fernseher an, schalt den Fernseher an!" "Warum denn, zum Kuckuck?" "Weil du es mir nicht glauben wirst." Ja genau, ich konnte nicht glauben, was ich sah. Ich betete, dass es kein Terroranschlag war, dass es keine fanatischen Muslimen waren. Aber es war so.

Am 12. September 2001 bin ich nicht unbefangen auf die Straße gegangen. Ich gebe zu, dass ich sehr angespannt war, als ich an muslimischen Mitbürgern vorbeiging. Nicht weil ich sie für Terroristen hielt, sondern weil ich befürchtete, dass die Welt nun schwarz und weiß ist. Dass Toleranz, Verständigung und der Wille zu einem friedlichen Miteinander wie die Türme in New York für immer vernichtet worden waren.

Als ich mir an diesem Tag die Tageszeitung mit den schrecklichen Bildern kaufte, entschied ich mich, mich zu erinnern, dass ich noch nie eine schlechte Begegnung mit einem Muslimen hatte, dass an meinem Gymnasium mehr ausländische als deutsche Schülerinnen und Schüler waren, es aber nie Probleme gab. Ich entschied mich zu erinnern, dass Juden, Muslime und Christen an einen Gott des Friedens glauben. Ich entschied mich zu erinnern, dass weder religiöse noch politische Fanatiker mich daran hindern werden, in allen Menschen das Ebenbild Gottes zu sehen.

In den zehn Jahren wurden zu viele Menschen im Namen der Religion und der Sicherheit getötet, zu viel Freiheit ging im Namen der Sicherheit verloren. Gott will noch immer Frieden für alle Menschen.

Am 11. September erinnern wir an die Opfer, ihre Angehörigen und alle, die in den vergangen zehn Jahren deswegen starben. Wir erinnern auch, dass nur, wenn wir alle einander lieben wie uns selbst, Vertrauen, Freundschaft entsteht und Frieden sein kann. Wir sind weder den religiösen noch den politischen Fanatikern verpflichtet, sondern allein Gott.

Christina Duncker ist Pastorin der Kirchengemeinde Harksheide