Das geht Johann Ohrt durch en Kopf, als er seine Irmgard bei der Ernte erstmals sieht. Jetzt feierten die beiden Ellerauer Diamantene Hochzeit

Ellerau. Ein langes Leben schildern, die Höhepunkte herausfiltern, sich an Schicksalsschläge erinnern - das ist nicht leicht, wenn seit der Geburt 87 Jahre vergangen sind. Und wenn das Nachdenken immer wieder gestört wird. Alle paar Minuten taucht eine Enkelin auf, drückt die Oma, begrüßt den Opa und gratuliert. Johann und Irmgard Ohrt feiern diamantene Hochzeit. Seit 60 Jahren sind die beiden Ellerauer verheiratet.

Der Jubilar, 87, und noch quietschfidel, kramt im Gedächtnis. Beim Tanzen hat er seine Frau kennengelernt, sagt er. Natürlich "op Platt". Wer mit Johann Ohrt reden will, sollte Plattdeutsch zumindest verstehen. Nur selten verrät Ohrt, dass er auch Hochdeutsch kann. Nicht mal im Gemeinderat verlässt er sein Wohlfühl-Idiom. Die aktive Politik ist inzwischen passé. Auch die vielen Ämter, die der Landwirt nebenbei und natürlich ehrenamtlich innehatte, hat er jüngeren Leuten übergeben. 60 Jahre war er in der Feuerwehr, 25 Jahre als Wehrführer.

"Als wir jung waren, hatten wir kaum Freizeit. Wir konnten höchstens mal am Sonntag zum Tanzen gehen", sagt der Ur-Ellerauer, der mit seinen 87 Jahren inzwischen der älteste Mann im Ort ist. "Twee Deerns sünd öller", sagt Ohrt und zeigt dieses Lächeln, das verrät, dass er "immer einen im Sinn" hat. Seine Frau ist acht Jahre jünger, eine geborene Saggau, die wie ihr Mann einer alten Ellerauer Familie entstammt.

Die Geschichte der Ohrts reicht weit zurück. Seit 1769 bewirtschaften sie den Haferhof, Johann in zehnter Generation. Nach Krieg und Gefangenschaft absolviert er Lehrgänge, zwei Semester Landwirtschaft verschaffen ihm das Wissen, das er für Milchvieh und Bullenmast braucht. Nun führt sein Sohn Klaus Regie, ihm soll dessen Sohn Timsören folgen.

Erstmals trifft sich das spätere Ehepaar auf einem "Selbstbinder", einer von drei Pferden gezogenen Maschine, die gemähtes Getreide zu Garben bündelte. Da ist sie gerade 14. "De kann arbeiten, heb ick dacht", sagt Ohrt. Hinlangen, anpacken, das musste die künftige Frau Ohrt können. Und Irmgard konnte, Ohrts Eindruck trog nicht.

Hochzeit feiern die beiden auf dem Knüppelhof, dem Anwesen der Saggaus. Sie zieht ein paar Hundert Meter weiter und hilft ihrem Mann in der Landwirtschaft. "Melken ist Frauensache", sagt ihr Mann, schon deswegen brauchen Bauern eine Frau. Jeden Morgen um 5 Uhr muss sie raus, die Euter der 60 Kühe leeren. Eineinhalb Stunden später kommt der Milchlaster. Zum 70. Geburtstag bekommt die Bäuerin ein Geschenk, über das sie sich unbändig freut: Der Melkroboter übernimmt die tägliche Arbeit.

Leise und ruhig spricht Irmgard Ohrt über einen Schicksalsschlag, den die Familie vor 21 Jahren verkraften musste: Die Schwiegertochter stirbt. "Drei Jahre hat sie sich mit der Krankheit gequält", sagt Johann Ohrt. Sohn Klaus steht mit fünf Kindern allein da, und doch wieder nicht. Seine Mutter springt in die Bresche. Ganz selbstverständlich. "Ich war ja noch nicht auf dem Altenteil, sondern mittendrin, wir haben alle auf dem Hof gelebt und gearbeitet", sagt Irmgard Ohrt. Sie zieht die vier Enkelinnen und einen Enkel groß. Und bekommt viel zurück: "Sie sind immer für uns da", sagt der Opa, Oberhaupt einer großen Familie mit drei Kindern, insgesamt acht Enkeln und zwei Urenkeln. Fast alle sind in Ellerau geblieben, verleihen dem Familienband Reißfestigkeit.

Natürlich sind auch alle dabei, als die Jubilare feiern, in Kramers Gasthof - da, wo sie sich beim Tanzen näher gekommen sind und auf den langen gemeinsamen Weg zurückblicken. "Arbeit war mein Leben", sagt Ohrt, sieben Tage pro Woche, 52 Wochen im Jahr. 1963 gönnt sich das Paar den ersten Urlaub, will im Schwarzwald auftanken - und fährt am Ziel vorbei. Navis gibt es noch nicht, Landkarten auch nicht. Schließlich steuern sie von Süden ihren Urlaubsort an und genießen die kurze Pause vom Hofalltag.

"Heute sitzen doch alle nur noch da und haben das Handy am Ohr." Arbeit ist noch immer Ohrts Leben, still sitzen kann er nicht. Er muss raus, täglich mehrere Runden übers Hofgelände drehen, den Kühen eine Handvoll Futter hinwerfen. "Man sieht überall, was zu tun ist, aber man kann nicht mehr anpacken", sagt der Altenteiler, der trotzdem zufrieden ist. "Wir hatten auch viele glückliche Momente", sagt seine Frau, für die Liebe und Vertrauen Garanten einer langlebigen Ehe sind.