Ihre Freundschaft geht sogar soweit, dass Regina Albrecht ihrer Kollegin Barbara Martens im Juni eine Niere spendete

Norderstedt. "Für mich bedeutet Freundschaft, dass man füreinander da ist", sagt Barbara Martens. Regina Albrecht schaut sie an. Sie stimmt ihr zu und sagt: "Und das nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten." Die beiden Frauen gehen durch dick und dünn. Ihre Freundschaft geht sogar soweit, dass Albrecht ihrer Freundin Martens im Juni eine Niere spendete.

Kennengelernt haben sich die Norderstedterin Barbara Martens und ihre Freundin, die in Drage bei Geesthacht wohnt, bei der Arbeit. "Wir sind Sachbearbeiterinnen bei einer Versicherung", erzählt Barbara Martens - und Regina Albrecht fügt hinzu: "Manchmal ist das wie in der Fernsehserie 'Stromberg', die in einer Versicherung spielt. Zumindest die Teeküche sieht genauso aus." Und in eben dieser Teeküche begann die Freundschaft zwischen den beiden Frauen. "Man schnackt immer mal beim Kaffee holen. Wir haben uns gleich gut verstanden, als Regina bei uns angefangen hat. Das vor 24 Jahren", erinnert sich die 55-jährige Martens. Später hätten die Getränke gewechselt. Albrecht: "Wir sind dann auch mal nach der Arbeit ein Bierchen trinken gegangen oder mal ins Kino. Barbara hatte sogar mal ein Haus in Portugal, das sie mir und meiner Familie dann für einen Urlaub überlassen hat."

Was Albrecht all die Jahre nicht weiß: Barbara Martens ist krank. "Meine Nieren haben schon lange nicht mehr gut funktioniert. Ich war ständig bei einem Nephrologen, einem Nierenspezialisten, in Behandlung. An die große Glocke gehängt habe ich das nie", sagt sie. Zehn Jahre habe Barbara Martens mit verminderter Nierenfunktion gelebt. Aber: "Der Arzt meinte immer zu mir, dass meine Werte auf einem guten Level seien", sagt Martens. 2009 sei es schlimmer geworden. Innerhalb eines halben Jahres hätten sich die Nierenwerte dramatisch verschlechtert. "Das war schon eine gewaltige Umstellung. Man hat ja bei solchen Krankheiten keine direkten Beschwerden. Im Grunde ist es eine schleichende Vergiftung." Die sichere Folge: Nierenversagen. Dreimal die Woche sei sie nun zur Dialyse gegangen. Zunächst habe sie deswegen hin und wieder bei der Arbeit gefehlt. Später sei sie zur Nachtdialyse gegangen, um am Tag im Job zu sein.

"Als gesunder Mensch kann man sich gar nicht vorstellen, was das bedeutet", sagt Regina Albrecht. Wie die anderen Kollegen auch, hätte sie zunächst nichts davon erfahren. Erst bei einer Betriebsfeier in Köln habe sich die Dialyse-Patientin ihrer langjährigen Freundin geöffnet. "Wir hatten einen hervorragenden Abend bei der Feier und spazierten ein bisschen beschwipst durch das nächtliche Köln, als Barbara mir die ganze Geschichte erzählte. Ich konnte das erst gar nicht glauben. Aber mein erster Gedanke war: Hast du denn niemanden, der dir eine Niere spenden kann?", erinnert sich Albrecht. Tatsächlich habe sich Martens' Bruder zur Spende bereit erklärt, habe dann aber abspringen müssen, da er Diabetiker ist. Martens' Sohn sei nie als Spender nicht infrage gekommen. "Das wird nicht gemacht, damit Kinder nicht von ihren Eltern unter Druck gesetzt werden", erklärt Barbara Martens. Sie kommt auf die Warteliste für Spendernieren. Aber: "Zu dem Zeitpunkt war die Wartezeit zwischen sieben und neun Jahren."

Am nächsten Tag sitzen die Freundinnen wieder zusammen, sprechen wieder über das Thema. "Ich wollte schon genau wissen, ob Regina das ernst gemeint hatte", sagt Martens. Sie meinte es ernst. Wieder im Norden, macht Regina Albrecht einen Termin beim Arzt ihrer Freundin: Der untersucht sie und stellt fest, dass sie als Spenderin infrage kommt.

Drei Monate habe ihr der Arzt Bedenkzeit gegeben, um mit ihrer Familie zu reden. "Mein Mann hat gesagt, dass das ein großer Eingriff ist, ich das aber tun muss, wenn ich es wirklich will", sagt Albrecht. Ihrem erwachsenen Sohn, der schon ausgezogen ist, habe sie nichts erzählt, dafür aber dem 15-jährigen Sohn. "Der hätte ja gemerkt, wenn ich dann plötzlich ein paar Tage nicht zu Hause bin. Er meinte nur, warum ich meinen Mund immer soweit aufmachen muss", sagt Albrecht. Ihre Entscheidung habe schnell festgestanden.

Im Juni gehen Regina Albrecht und Barbara Martens zusammen in die Uniklinik Lübeck. Sie werden sogar auf dasselbe Zimmer gelegt. "Am Vorabend der OPs haben wir ganz normal geredet. Es war eine ziemlich lockere Stimmung." Um 8 Uhr am 8. Juni kommt zunächst die 46-jährige Albrecht in den OP, um sich die linke Niere entfernen zu lassen, die Martens auf der rechten Seite eingesetzt wird. Die OPs verlaufen erfolgreich, nachmittags liegen die beiden Frauen wieder im Zimmer.

"Mein Körper hat die Niere gut angenommen. Nachdem ich zwei Monate regeneriert habe, kann ich nun auch wieder ganz normal zur Arbeit gehen", sagt Barbara Martens heute. Als die Kollegen Wind davon bekommen, was sie und Regina Albrecht getan hatten, habe es unterschiedliche Reaktionen gegeben. Albrecht: "Manche waren ganz gerührt und haben Blumen und Geschenke gebracht. Andere reagierten anders und fragten, warum ich das gemacht habe - ich hätte doch Kinder." Die Frage, warum sie es gemacht hat, scheint berechtigt: "Ich wollte, dass es wieder so wird wie früher. Ich wollte, dass ich mit Barbara wieder so einen tollen Abend in Köln verbringen kann", sagt Albrecht. Sie erwarte nichts im Gegenzug. Barbara Martens kann das nicht so stehen lassen: "Ich habe eine kleine Überraschung vorbereitet, die ich aber noch nicht verraten möchte."

Die beiden Freundinnen hoffen nun, das ihre Geschichte andere inspiriert. "Viele glauben, das nur Verwandte Organe spenden können, das stimmt nicht", sagt Barbara Martens. Sie hoffe, dass sich nun einige bereit erklären, ihren Freunden in der Not ein Organ zu spenden, damit diese nicht sieben bis neun Jahre auf ein Organ warten müssen. Regina Albrecht habe allerdings auch Verständnis für Leute, für die Organspende (noch) kein Thema ist. Sie sagt: "Mir war das auch nie so bewusst, wie wichtig das ist. Man entwickelt erst eine gewisse Empfindsamkeit dafür, wenn es in seinem Umkreis ein Thema wird."

Um weiter für Organspenden zu werben, trägt Barbara Martens mittlerweile immer Organspendeausweise mit sich herum. "Im Büro haben schon viele Kollegen einen mitgenommen."