Seinen Führerschein hat er bereits auf Lebenszeit verloren, doch der 47-Jährige setzt sich immer wieder hinters Lenkrad

Kreis Segeberg/Kiel. Es waren filmreife Szenen, die sich bei einer Verfolgungsjagd, die sich ein Bremer Autofahrer und die Polizei in den Vormittagsstunden eines Augusttages im vergangenen Jahr lieferten, abspielten: Über eine Stunde lang hielt der Mondeo-Fahrer etliche Streifenwagen in Atem, wobei er auf der A 7 und A 215 zwischen Neumünster-Nord und dem Autobahnkreuz Kiel/West permanent mit einer Geschwindigkeit von 220 Stundenkilometern fuhr und im Kieler Stadtbereich mit Tempo 160 rote Ampeln ignorierte, über Verkehrsinseln donnerte und sogar die geschlossene Halbschranke eines Bahnübergangs umfuhr. Ein Trupp Bauarbeiter konnte sich nur durch einen Sprung zur Seite retten, wie es überhaupt an ein Wunder grenzt, dass niemand verletzt wurde.

"Wir hatten größte Mühe dranzubleiben", erinnert sich ein Polizist, der Andreas G., 47, im Streifenwagen verfolgte. Jede Lücke habe G. genutzt, auf der Autobahn rechts überholt und sich am Bordesholmer Dreieck zunächst so eingeordnet, als wolle er geradeaus in Richtung Flensburg fahren, dann aber habe er ruckartig das Steuer nach rechts gezogen, um halb schleudernd auf die A 215 in Richtung Kiel zu fahren. Vor Kiel geriet der Mondeo in den dortigen Kurven nach Aussage der Polizei mehrmals ins Schleudern, stellte sich einmal auch quer.

Erst nach einer weiteren Verfolgungsjagd von Kiel aus zurück über die A 215, ab Großenaspe über die Landstraße B 206 in Richtung Bad Bramstedt gelang es einem Streifenwagen, den Ford seitlich zu rammen und in den Straßengraben zu drängen, wo die Fahrt ihr Ende fand. Vorher hatte der Fahrer eine Straßensperre der Polizei umfahren und war ein letztes kurzes Stück über einen Pendlerparkplatz geflüchtet.

Vor dem Amtsgericht in Norderstedt gibt sich der unter anderem wegen Straßenverkehrsgefährdung angeklagte Bremer Andreas G. zerknirscht.

Seit 2003 besteht gegen ihn eine auf Lebenszeit verhängte Führerscheinsperre, weil er wiederholt in einem von Drogen berauschten Zustand gefahren war. Unter Bewährung stand der Angeklagte auch an besagtem Tag im August. Ihn habe schlicht Panik, ergriffen, so sagt er, als er im Rückspiegel eine Polizeistreife entdeckte. Kurioserweise hatten andere Autofahrer die Polizei verständigt, weil der Ford auf der Autobahn im Bereich Quickborn durch ein besonders langsames Tempo, aber auch durch Fahren in Schlangenlinien aufgefallen war. Die Polizei setzte sich vor den Angeklagten mit der Anweisung, auf den Seitenstreifen zu folgen, was der Bremer zunächst tat, urplötzlich aber davonraste.

Der Angeklagte, der seit seinem fünfzehnten Lebensjahr Drogen konsumiert, war nach seinen Angaben nach einer Langzeittherapie im Jahre 2008 clean und arbeitete auf einem Schrottplatz, hatte also nach Jahren außerhalb der Gesellschaft, die von Drogen und mehreren Gefängnisaufenthalten bestimmt waren, eine Stabilität in seinem Leben erlangt, wie er erzählt.

Im Sommer 2010 hatte der Angeklagte durch eine Pleite seines Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz verloren, seine Freundin, eine ehemalige Drogenabhängige, war schwer krank. Das alles sei zu viel für ihn gewesen, er habe wieder gelegentlich Heroin geraucht, so auch am Vortag der halsbrecherischen Fahrt nach Kiel, die ihn eigentlich nach Flensburg zu einer Tante führen sollte.

Er habe wenig Erinnerung an die Autofahrt, wollte aber auf keinen Fall andere Menschen gefährden, behauptet der Bremer, der den Schaden an dem Polizeifahrzeug in Raten abstottert. Der Angeklagte hat wieder eine Arbeit als Gabelstapelfahrer und kann seit Anfang diesen Jahres "saubere" Urinproben nachweisen. Bei der Lehrerin Katharina S., 45, die der Angeklagte in Kiel trotz Gegenverkehrs überholte, entschuldigt sich Andreas G. Zuvor hatte die Zeugin berichtet, wie der Angeklagte sich ihrem Auto mit quietschenden Bremsen genähert habe und trotz eines entgegenkommenden Transporters an ihr vorbeigezogen sei. Die Frau musste erst mal rechts an den Fahrbahnrand fahren, um sich zu beruhigen.

"Erstaunliche Fahrleistungen" habe der Angeklagte vollbracht, meint Amtsrichter Reinhard Leendertz und das, obwohl im Blut des Mannes Methadon, Heroin und das Beruhigungsmittel Diazepan nachgewiesen wurden.

Angesichts eines umfangreichen Vorstrafenregisters und der Schwere der Tat, bei der Menschenleben gefährdet wurden, deutet der Richter an, dass eine Bewährungsstrafe nicht in Betracht komme. Daraufhin fleht der Angeklagte den Richter unter Tränen an, ihm noch eine Chance zu geben: Alles, was er sich aufgebaut habe, werde den Bach runtergehen, wenn er wieder ins Gefängnis müsse, so der Angeklagte.

Richter Leendertz beschließt daraufhin, in einem Fortsetzungstermin die Bewährungshelferin des Angeklagten zu vernehmen, um dann ein Urteil zu fällen.