Fahrgäste der AKN sind verärgert, weil es im Streit um einen Tarifvertrag nicht längst zu einer Einigung gekommen ist

Kaltenkirchen. Lokführer Sven Starkjohann, 40, sieht müde aus. "Ich habe letzte Nacht wenig geschlafen", bestätigt er. Bis 22 Uhr hatte seine Schicht gedauert, am Mittwoch saß der zweifache Familienvater aus Barmstedt schon wieder auf dem Fahrersitz - obwohl es eigentlich sein freier Tag war und er mit Frau und Kindern einen Frühlingsausflug geplant hatte.

Sven Starkjohann sprang für einen AKN-Kollegen ein, der als einer von 29 Triebfahrzeugführern dem Streikaufruf der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) gefolgt war. Heute werden sogar 32 von insgesamt 82 AKN-Lokführern streiken. Der Arbeitskampf soll bis Freitag, 2 Uhr, dauern.

"Ich engagiere mich für unsere Fahrgäste. Die sollen möglichst nicht unter den Folgen des Streiks leiden", begründete Starkjohann, der dem Unternehmen seit 1993 angehört, seinen Einsatz.

Am Mittwoch hatte ihn um 8.30 Uhr ein AKN-Disponent angerufen. "Kannst du uns helfen, wir haben einen Engpass?", fragte der Kollege. Starkjohann überlegte nicht lange: "Du kannst mich einplanen." Zwei Stunden später machte er sich auf den Weg.

Starkjohann, Mitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG), stieg zunächst als "Fahrgast" in den Zug nach Ulzburg-Süd. Dort musste er 20 Minuten warten, ehe er von einem Kollegen übernehmen konnte. 20 Minuten später fuhr er zurück nach Norderstedt. "Meine Schicht dauert bis 23 Uhr, um Mitternacht bin ich zu Hause", sagte er. "Wenn es erforderlich wäre, würde ich an einem meiner nächsten freien Tage wieder einspringen."

Viele Fahrgäste der AKN schimpfen über zeitliche Verzögerungen

Auch wenn sich die meisten der insgesamt 300 AKN-Mitarbeiter in der neunten Streikphase bemühen, den Zugverkehr halbwegs normal, also jede Stunde zwei Fahrten auf den Strecken A1 zwischen Kaltenkirchen und Eidelstedt sowie der A2 zwischen Ulzburg-Süd und Norderstedt-Mitte durchzuführen, häufen sich die Klagen.

Norbert Enge aus Kaltenkirchen gehört zu den Menschen, die nicht verstehen, warum es im Streit um einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag nicht längst zu einer Einigung zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und den privaten Regionalbahnen gekommen ist. "Dieser Streik ist völlig unnötig, er geht nur auf die Kosten der Fahrgäste", wetterte er.

Norbert Enge ist Mitarbeiter bei "Regenbogen" in Kaltenkirchen, einer Institution, die Jugendliche unterstützt, die sich im sozialen Umfeld nicht zurecht finden und deshalb im schulischen und beruflichen Alltag Hilfe benötigen.

Dieses Mal begleitete der Sozialpädagoge die 18-jährige Nadine S. bis zum Bahnhof in Kaltenkirchen. Von dort bis zur Haltestelle Meeschensee ist sie regelmäßig auf sich allein gestellt. Eine halbe Stunde warteten die beiden, bis endlich der Zug kam. "Ich hoffe, dass sich Nadines Mutter nicht zu große Sorgen macht", meinte Norbert Enge.

Viele Fahrgäste schimpfen über zeitliche Verzögerungen. Dazu gehören Thalea Rahn aus Kaltenkirchen und ihre Freundin Annika Schröder, die nach Lentföhrden fahren wollten und länger als eine halbe Stunde warten mussten. "Das geht nun schon seit vielen Wochen so", schimpfte Thalea Rahn. "Ich habe eine Monatskarte gekauft und möchte gerne fahren, wann immer ich will."

Ihre Freundin Annika ist Mutter einer vier Wochen alten Tochter. Die lag in ihrem Kinderwagen und fing an zu weinen. "Sie hat schon ganz kalte Händchen", sagte Annika. "Wann kommt denn endlich der Zug?"

Das fragten sich auch Benjamin Lowatz und Enzo Siems aus Sievershütten, die einen Einkaufsbummel in der Hamburger Innenstadt geplant hatten, den aber wegen des stark eingeschränkten Zugverkehrs abbrachen. "Ich kaufe mir jetzt ein Motorrad", kündigte Enzo Siems an. "Das ist zuverlässiger und billiger."

Jens Grotzke, 32, aus Neumünster, seit zwölf Jahren Lokführer bei der AKN, gehörte zur Gruppe der Streikenden, die sich auf dem Bahnhofsgelände in Kaltenkirchen um Aufklärung bemühten. "Es geht uns in erster Linie um die soziale Absicherung. Ich möchte, sollte es einmal einen neuen Betreiber geben, nicht plötzlich für einen geringeren Lohn arbeiten müssen oder sogar meinen Job verlieren."

AKN-Sprecher Jörg Minga weist Gedankenspiele von angeblichen "Heuschrecken" als "reine Hirngespinste" zurück und glaubt: "Die GDL will nur Ängste schüren. Der Streik hat bundesweite Ziele, die mit den tariflichen Gegebenheiten bei der AKN nicht im Zusammenhang stehen."

Der stellvertretende Bundesvorsitzende Sven Grünwoldt war am Dienstag extra aus Frankfurt am Main angereist und beteuerte: "Falls es keine Einigung am Verhandlungstisch gibt, wird weiter gestreikt. Wir haben einen langen Atem."