Eleonore Schiemann verziert Hühnereier. Ihr Vorbild sind die Preziosen, die der Pariser Juwelier Carl Fabergé für den russischen Zaren fertigte

Norderstedt. Eleonore Schiemann, 89, hatte es bei ihren Prunk-Ostereiern weitaus schwerer als der berühmte Pariser Juwelier Carl Fabergé. Als dieser 1885 das erste jener legendären, sündhaft teuren und mit Juwelen und Edelmetallen überladenen Überraschungseier für den russischen Zaren Alexander III fertigte, standen ihm 500 Mitarbeiter aus 44 Gewerken zur Verfügung, beste Präzisionswerkzeuge, edelste Metalle und Steine.

Eleonore Schiemann arbeitet alleine, ist geschickt mit den Fingern. Sie benutzt eine leidlich scharfe und abgeplatzte Papierschere und verarbeitet Fäden ziehenden Ponal-Kleber, buntes Bastelpapier, störrische Strohhalme, schimmernden Verpackungskarton und das, was sie so in der Natur findet. "Außerdem waren die Eier bei Fabergé sieben bis 15 Zentimeter groß. Ich mache das ja mit viel kleineren, ausgeblasenen Hühnereiern und bei schlechtem Licht", sagt die Norderstedterin.

Von den 50 Prunk-Ostereiern, die Fabergé als Hofjuwelier für die Zarenfamilie fertigte, soll es weltweit noch 42 Stück geben. Das macht die Preziosen zu über die Maßen begehrten und teuren Sammlerobjekten. Zuletzt erzielte ein Ei, das Fabergé 1902 für den Bankier Baron Edouard de Rothschild fertigte, im Auktionshaus Christie's einen Preis von 12,5 Millionen Euro.

Eleonore Schiemann hingegen nennt ihre frei interpretierten Kopien der Fabergé-Eier "ihre Kinder", würde sich niemals gegen Geld von ihnen trennen und umgibt sich mit ihnen in ihrem kleinen Haus in Garstedt. Alle bekannten "Zaren-Eier" hat sie nachempfunden, dazu noch etliche, die der Juwelier für reiche Unternehmer anfertigte.

"Ich habe wahrscheinlich schon als Embryo an das Verzieren von Eiern gedacht", sagt Eleonore Schiemann. Auf jeden Fall liebt sie das Verzieren von Eiern, seit sie denken kann. Und das geht zurück bis in die Zeit, als sie mit ihrer Familie noch in Estland lebte, vor dem Zweiten Weltkrieg. Zu Ostern schenken sich die Esten und alle gläubigen Menschen im Osten Eier. Wer sie schenkt, sagt "Christus ist auferstanden!", und wer beschenkt wird, antwortet "Er ist wahrhaftig auferstanden!" Schon als junges Mädchen war Eleonore Schiemann sehr gut im Eier-Verzieren. So gut, dass alle Eier immer verschenkt wurden, und sie selbst keine hatte.

1960, der Krieg hatte sie und ihre Familie längst nach Hamburg verschlagen, da begann sie "mit Verstand" die Eier zu verzieren. Es wurde ihr Hobby und ihre Obsession. "Ich sitze dabei vor dem Fernsehgerät. Nur zuschauen, das ist mir zu langweilig", sagt sie.

Eleonore Schiemann lebt seit Jahrzehnten alleine. Ihr Mann starb viel zu früh in den 70er-Jahren an einem Hirnschlag. "Er ging ohne mich zu einem Schachspiel in Hamburg und brach dort über dem Brett zusammen. Er spielte so gut Schach. Ich hatte ihn noch auf den Bahnsteig in Garstedt gebracht, ein Lächeln durch die Zugscheibe - das war das letzte Mal, dass ich ihn lebend sah", sagt die 89-Jährige. Danach habe es keine Freude mehr gegeben, kein Lächeln gestand sich die Witwe über Jahre zu. "Bis ich mich eines Tages über irgendetwas freute, vielleicht ein Fabergé-Ei. Zunächst schämte ich mich fast für dieses Gefühl. Aber danach nahm ich mein Leben wieder an und wurde richtig süchtig nach Freude", sagte Eleonore Schiemann. Und Eier, diese perfekten, formvollendeten Ovale, die seien für sie das Sinnbild schlechthin für das Positive, für die Hoffnung und das Leben.

Es ist selbstredend völlig ausgeschlossen, die Fabergé-Eier naturgetreu nachzubilden. Die alte Dame kichert: "Dann wäre ich ja eine reiche Frau." Eleonore Schiemann beschränkt sich auf die Oberfläche der Eier, sie interpretiert die unfassbaren Miniaturen mit ihren Mitteln. Sie schneidet winzigste Rauten aus buntem Bastelpapier und legt damit akkurate Mosaiken, Girlanden, Ranken, Ziffernblätter und Jahreszahlen. Sie schnibbelt Gras- oder Strohhalme in klitzekleine Stücke, bügelt sie platt und klebt damit eine transsibirische Eisenbahn en miniature rund um ein Ei. "Das störrische Stroh will nie halten auf dem Ei. Da muss ich ganz schön drücken", sagt die 89-Jährige. Es ist schon vorgekommen, dass die Eier auch mal springen und die Arbeit von Tagen oder Wochen im Müll landete.

Auf kleinen Acryl-Ständern stehen die Prunk-Eier überall auf den Simsen, Kommoden und Regalen in ihrem Haus. Zwei Ausstellungen, eine 2002 in einer Norderstedter Sparkasse und eine 2003 in der Hamburger Einkaufspassage Hanse-Viertel, hat sie mit ihren Eiern schon bestückt. Ein eleganter Herr mit Aktentasche verewigte sich in ihrem Gästebuch für die Hamburger Ausstellung mit den Worten: "Das Können Eleonore Schiemanns hätte es verdient gehabt, sich am Hof des Zaren entfalten zu dürfen." Über die Reaktion eines jungen Mädchens ärgerte sich die Seniorin damals allerdings ganz schrecklich. "Das sei ja alles ganz nett, sagte sie abschätzig. Aber am besten gefalle ihr das Dämmerungs-Ei. Dieses dunkle mit dem Gefängnis-Gitter drauf. Das habe ich zunächst gar nicht verstanden", sagt Eleonore Schiemann. Das Ei entstand 1917, kurz bevor die Zarenfamilie ermordet und viele ihrer Anhänger emigrierten. Die junge Dame wollte wohl ihre Abneigung gegen das feudale zaristische System und ihre Auswüchse ausdrücken, zu denen sie wohl auch die Fabergé-Eier zählt. Eleonore Schiemann war und ist keine Zaristin. "Kunst ist Kunst, und Politik ist Politik", sagt sie. Wenn überhaupt, dann ist sie eine "Fabergistin". Eine glühende Verehrerin seiner Miniatur-Kunst.

Seit 1990 werden von der Schmuckmanufaktur Victor Mayer wieder Prunk-Ostereier hergestellt. Und von dort, mit edlem goldenen "Fabergé"-Schriftzug auf dem Briefkopf, bekam sie vor Jahren ein Schreiben. Schiemann hatte zuvor Fotos ihrer Ausstellungen dorthin geschickt, zur Kenntnis für die Stammhalter der Kunst von Fabergé. Eine Dame der Marketing-Abteilung schrieb Eleonore Schiemann zurück, wünschte alles Gute für weitere Ausstellungen und bot ihr Unterstützung an, falls sie Unterlagen bräuchte. Wahrscheinlich hat sich die Dame, während sie diesen Dreizeiler schrieb, gar keine Vorstellung davon gemacht, was er für die alte Dame aus Norderstedt bedeutet. "Da schreibt mir diese große Firma und bietet mir die Unterstützung an. Ich habe geweint, als ich den Brief bekam. Und ich berste vor Stolz darüber."