Motorradfahrer lernten beim Sicherheitstraining des TÜV Nord die richtige Kurven-, Brems- und Ausweichtechnik

Gas geben und Hintern hoch! Immer wieder brüllt Jürgen Grieschat seine Kommandos den Motorradfahrern entgegen. Doch die meisten tun sich schwer, den Befehlen zu folgen, den Gashebel aufzudrehen und stehend über den Reifen zu brausen, der auf dem Pflaster liegt und ein Hindernis simuliert. Grieschat stoppt das Training, ruft seine Schüler zusammen und demonstriert, was er meint. Der Mann, der mehr als 100 000 Kilometer auf seinen vielen Reisen auf zwei Rädern zurückgelegt hat, hat nicht nur Erfahrung, er ist quasi mit seiner Maschine verwachsen. Ganz locker beschleunigt er, richtet sich auf und fliegt über den Reifen hinweg.

An diesem Sonnabend ist Grieschat, hauptberuflich die Seele des Motorradreise-Veranstalters "mottouren", auf das Gelände des TÜV Nord in Norderstedt gekommen, um Bikern nach dem langen Winter einen sicheren Start in die Saison zu ermöglichen. Zehn Männer und Frauen haben sich zum Sicherheitstraining auf dem Platz am Hans-Böckler-Ring in Norderstedt angemeldet. 140 Euro kostet der Kursus. Und schon nach den ersten Runden sagt Jana Feuerknecht: "Das Geld ist gut angelegt. Schon jetzt merke ich, wie das verschüttete Wissen wieder ins Bewusstsein kommt." Die 37 Jahre alte Norderstedterin, die die Übungen auf ihrer 600er Suzuki absolviert, ist eine von vier Frauen.

Und nach einigen Versuchen ist Grieschat mit ihr zufrieden. "Man neigt dazu, am Hindernis vorbeizufahren, weil ja genügend Platz zum Ausweichen da ist. Und es ist ungewohnt, alles in einer Bewegung zu vollziehen, Gas geben und aufstehen", sagt die Bikerin.

Das restliche Frauen-Trio kennt sich. Angelika Blumenhagen, 59, ihre Tochter Stephanie Scholz, 39, und deren Freundin Jennifer Becker, 26, haben sich gemeinsam angemeldet und sind aus dem Kreis Pinneberg nach Norderstedt gekommen. "Auf was habe ich mich da bloß eingelassen?", sagt Angelika Blumenhagen, als sie das rechte Bein über den Sattel schwingt und sich bereit macht für Übungen, die ihr ein "wenig Bauchschmerzen" bereiten.

Peter Rupp vom TÜV Nord, neben Jürgen Grieschat zweiter Trainer an diesem herrlichen Vorsommertag, macht vor, was er von den Bikern sehen will - und was Angelika Blumenhagen noch Sorgen bereitet. "Ihr bleibt aufrecht sitzen und drückt die Maschine in die Kurve", sagt der Ingenieur.

Und dann wird es aus Sicht von Angelika Blumenhagen noch schlimmer: Die Biker sollen sich in die Kurve legen. "Ihr kennt das von den Motorrad-Rennen aus dem Fernsehen, wenn Spitzenfahrer wie Valentino Rossi oder Daniel Pedrosa in extremer Schräglage durch die Kurven sausen. So weit wollen wir natürlich nicht gehen, aber zumindest solltet ihr das mal versuchen", sagt Rupp. Gefühl für die Maschine in allen Lagen ist wichtig.

Doch damit nicht genug: Als Krönung der Kurventechnik steht das sogenannte hanging off auf dem Programm. "Dabei hängt man sich Richtung Kurveninnenseite neben die Maschine. Durch diese Technik verlagert sich der gesamte Schwerpunkt von Fahrer und Maschine, sodass das Motorrad insgesamt nicht mehr so weit in Schräglage gebracht werden muss", sagt der TÜV-Trainer.

So weit, so klar, die Theorie leuchtet ein, schließlich müssen Biker der Fliehkraft entgegenwirken und mit sicherer Technik verhindern, dass sie aus der Kurve fliegen. Und wer die Kurventechnik beherrscht, für den sind Straßen, die kilometerweit schnurgerade verlaufen, der langweilige Teil des Bikerlebens.

"Man muss sich echt überwinden, um die Übungen auszuführen", sagt Stephanie Scholz, die als Mutter von drei Kindern in der Vergangenheit nicht allzu oft die Chance hatte, gemeinsam mit ihrem Mann auf Motorrad-Tour zu gehen. Der Kopf sei das Hindernis, die Gedanken daran, was alles passieren könnte. Deswegen fordern Grieschat und Rupp auch immer wieder: "Ihr müsst das Denken ausschalten." Die Trainer legen auch Hand an, um Positionen zu korrigieren. So stoppt Rupp Jennifer Becker und schiebt sie behutsam ein Stück vom Sitz, um ihr das hanging off zu vermitteln.

Bevor sich die Teilnehmer des Sicherheitstrainings in die Kurven legten, ging es erst mal ans Aufwärmen. "Wenn man mehrere Monate oder noch länger nicht gefahren ist, kann man nicht gleich auf die Maschine steigen und losbrausen", sagt der 59-jährige Heinz Glaser. Er ist auf seiner 1100er BMW aus Hamburg-Barmbek zum Saisonauftakt beim TÜV in Norderstedt vorgefahren und schon nach kurzer Zeit ebenso begeistert wie die anderen Teilnehmer: "Das ist ein guter Einstieg in die Motorrad-Saison, man lernt immer noch was dazu."

Zum Auftakt hatten sich die Trainer etwas ausgedacht, was die meisten Biker gar nicht schätzen: Sie mussten langsam fahren. "Das ist gar nicht so leicht, aber das Fahren mit niedrigem Tempo hilft ungemein, sich wieder an das Zusammenspiel von Gas, Bremse und Kupplung zu gewöhnen", sagt Jana Feuerknecht, die seit neun Jahren Motorrad fährt und schon zum dritten Mal am Sicherheitstraining teilnimmt und ihre ersten gemütlichen Runden absolviert hat.

Nun reiht sie sich ein, um Aufgabe zwei zu bewältigen: Slalom durch die Hütchen. Hier geht es um zwei elementare Voraussetzungen für das souveräne Beherrschen der bulligen Bikes: die Blickführung und die Fußposition. "Man fährt immer dahin, wohin man guckt. Deswegen muss die Blickrichtung stimmen", sagt Jana Feuerknecht. Und Jürgen Grieschat schärft seinen Schützlingen ein: "Nicht die Füße runternehmen, höchstens im Notfall. Ihr fallt nicht so schnell um, wie ihr denkt."

Stephanie Scholz bringt auf den Punkt, was alle meinen: "Wir fahren viel sicherer nach Hause, als wie hergekommen sind."