Interview mit Birgit Wille, der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten in Schleswig-Holstein

Kreis Segeberg. Der Paragrafendschungel ist unübersichtlich. Wer kennt sich aus bei der Arbeitsförderung, der Grundsicherung für Arbeitssuchende, in der Sozialhilfe oder im Behindertenrecht? Wer Bescheide erhält, kann oft nicht nachvollziehen, was da berechnet wurde. Und tatsächlich sind viele Bescheide fehlerhaft. Birgit Wille ist in Schleswig-Holstein die Bürgerbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein für soziale Angelegenheiten. Dieser Posten wurde während der Regierungszeit von Björn Engholm geschaffen. Sie kennt sich aus oder weiß zumindest, wenn sie um Rat fragen kann. In ihrem Büro sitzen sechs Mitarbeiter, die sich in Spezialgebieten auskennen. In dieser Woche war Birgit Wille zur Bürgersprechstunde in Henstedt-Ulzburg. Die Norderstedter Zeitung nutzte die Gelegenheit, um sich mit ihr über Missstände im Sozialrecht und über Kapriolen im Bürokratismus zu unterhalten. Die Bürgerbeauftragte ist unter Telefon 0431/988 12 40 zu erreichen. E-Mail: Buergerbeauftragte@landtag.ltsh.de

Norderstedter Zeitung:

Frau Wille, als Bürgerbeauftragte des schleswig-holsteinischen Landtages sind Sie häufig unterwegs und hören, was die Bürger bewegt. Wie viele Personen wenden sich pro Jahr an Sie?

Birgit Wille:

Das sind etwa 3500 Personen, wobei sich 80 Prozent über Telefon an mich oder meine sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wenden. Wir informieren ausschließlich in sozialen Angelegenheiten und vertreten die Anliegen von Hilfesuchenden gegenüber Behörden. Wir stärken also die Stellung der Hilfesuchenden gegenüber den Behörden.

NZ:

Welche Themen kommen dabei hauptsächlich zur Sprache?

Wille:

Es geht zum Beispiel um Probleme mit Reha-Leistungen, um Krankengeld, Elterngeld, Pflegeversicherung, um Kindergarten-Angelegenheiten, Jugendhilfe und Sozialhilfe.

NZ:

Mit welchem Thema werden Sie am häufigsten konfrontiert?

Wille:

Das sind die Themen Hartz IV und Sozialgesetzbuch II. Die erschlagen alles.

NZ:

Woran liegt das?

Wille:

Viele Betroffene, die sich an uns wenden, verstehen die Bescheide nicht. Es ist auch ein schwieriges Thema, das in vielen Fällen einer starken Dynamik unterworfen ist, weil sich die Lebensumstände ändern. Das heißt, die Bescheide müssen dann ständig geändert werden. Und das wiederum führt auch zu einer Fehlerhäufigkeit.

NZ:

Muss daraus gefolgert werden, dass die Bescheide zu kompliziert sind?

Wille:

Ja. Sie sind oft zu kompliziert aufgebaut, sie sind zu wenig transparent und sind von den Betroffenen daher schlecht zu verstehen. Das müssen wir der Bundesagentur für Arbeit ankreiden. Es fehlt in dieser Materie insgesamt an Ruhe und Beständigkeit. Das betrifft ja nicht nur die Betroffenen, auch die Behördenmitarbeiter haben so ihre Schwierigkeiten. Die Fluktuaktion in diesem Arbeitsbereich ist sehr hoch, das wiederum führt zu hohen Fehlerquoten in den Bescheiden.

NZ:

Die Hartz-IV-Reform ist ein lange diskutiertes Thema. Abgesehen von dem steigenden Regelsatz - wird es für die Betroffenen einfacher, die Bescheide nachzuvollziehen?

Birgit Wille:

Ich befürchte, es wird nicht einfacher werden. Eigentlich müssten die Bürgerbeauftragten bei Neufassungen mehr Gewicht haben. In meinem Jahresbericht weise ich auf die Probleme in der Praxis hin. Es wäre zum Beispiel gut, wenn es Ombudsleute auf Bundesebene gäbe.

NZ:

Werden Sie denn von den Behörden im Land akzeptiert, wenn sie sich in Fälle einklinken?

Wille:

Die Behörden wissen, dass wir fachlich versiert und fair sind. Unsere Maxime ist es, immer mit denjenigen zu sprechen, die die Entscheidungen getroffen haben. Auf der Sachbearbeiterebene sprechen wir von Angesicht zu Angesicht.

NZ:

Wie viele Bürgerbeauftragte gibt es in Deutschland?

Wille:

Es gibt nur vier Bundesländer, in denen es diese Einrichtung gibt. Wir tauschen uns natürlich untereinander aus und sprechen über unsere Erfahrungen

NZ:

Wie sieht es denn im europäischen Ausland aus? Ist der Bürokratismus in anderen Länden ebenso ausgeprägt?

Wille:

Die Bürokratie schlägt überall Kapriolen.

NZ:

Gibt es positive Beispiele in anderen Ländern?

Wille:

In Österreich zum Beispiel gibt es für die Bürgerinnen und Bürger einen Auszug über alle Krankenhausleistungen. Das ist gut für den Überblick. Insgesamt läuft es in Deutschland nicht besser oder schlechter als in anderen Ländern.

NZ:

Wie sind Sie zu ihrem Beruf als Bürgerbeauftragte gekommen?

Wille:

Ich war Betriebswirtin im sozialen Bereich und als SPD-Abgeordnete im Kreistag von Herzogtum Lauenburg tätig. Für den Posten habe ich mich ganz normal beworben und habe an einem Auswahlverfahren teilgenommen. Dann bin ich vom Landtag für sechs Jahre gewählt worden, inzwischen wurde ich wiedergewählt und bin in meiner zweiten Amtsperiode. Wichtig ist, dass man sich auf dieser Position überparteilich verhält.

NZ:

Um Welche Themen ging es während der Bürgersprechstunde in Henstedt-Ulzburg?

Wille:

Es ging um Schwerbehinderung, Pflegeversicherung, Kindergartenangelegenheiten, Opferentschädigung, Sozialhilfe und Jugendhilfe.