Wenn Herr Schilling seine Lederhose anzieht, wird aus ihm Heppo Steel. Am kommenden Sonntag singt er zum 26. Mal in der Moorbek-Passage

Norderstedt. Herold-Center, mittags, 13 Uhr. Am Tresen der Salatbar steht ein älterer Herr mit Mütze auf dem Kopf und bestellt sich ein Glas Saft. Niemand der vorbeieilenden Passanten beachtet ihn. Warum auch? Nichts ist auffällig an diesem Mann, der mit seiner Winterjacke genauso aussieht, wie die meisten anderen Rentner, die zumeist in Begleitung ihrer Frauen einen Einkaufsbummel machen. Sicher, die 68 Jahre sind ihm nicht unbedingt anzusehen. Er ist groß, schlank. Könnte auch gut und gerne zehn Jahre jünger sein. Ob er noch Haare auf dem Kopf hat, ist nicht zu erkennen. Herr Schilling macht einen Bummel.

Aber dieser Mann hat ein Hobby, das ihn von den anderen Geschlechts- und Altersgenossen gründlich unterscheidet. Dann und wann zieht er seine Lederhose an, sein Glitzerhemd und stellt sich auf die Bühne: Herr Schilling ist im Grunde seines Herzens ein Rocker. Nicht so einer, der auf einem Motorrad durch die Gegend braust und seine Muskeln spielen lässt. Mehr musikalisch gesehen. Er liebt Elvis und den Rock 'n' Roll. Herr Schilling ist Sänger. Wenn der Rentner auf der Bühne steht, heißt er Heppo Steel. Den kennt man in Norderstedt.

Heinrich Schilling war natürlich nicht immer Rentner. Als er jung war, ganz jung, so 18 oder 19 Jahre alt, sollte er in die Fußtapfen seines Idols treten. "Deutschlands Antwort auf Elvis Presley" sollte er werden. Das hat dann aus verschiedenen Gründen nicht geklappt. Was vermutlich auch ganz gut ist: Elvis wurde fett und verstarb unwürdig. Reich zwar, aber unglücklich - nach allem, was so über ihn zu lesen ist. Herr Schilling blieb schlank, wurde nicht besonders reich, lebt aber immer noch glücklich und zufrieden mit seiner Frau Annelore, mit der seit 42 Jahren verheiratet ist. Das ist doch schon etwas - Elvis Presley hat ein solch kleines Glück nie erreicht.

Der "King of Rock 'n' Roll" und der Herr aus Norderstedt haben trotzdem etwas gemeinsam: Elvis Presley konnte seine Zuhörer in den Bann ziehen. Seine Ausstrahlung auf der Bühne machte ihn einzigartig. Das schafft Heppo Steel auch: Wenn er singt, bleiben die Menschen. Auch jene, die nur zufällig vorbeikommen. Denn seine Bühnenpräsenz ist enorm. So etwas kann man nicht lernen, entweder man hat das gewisse Etwas oder nicht. Mancher gestandene Sänger, der erfolgreich Platten besungen hat, geht auf der Bühne unter, weil er keine Ausstrahlung hat. Heppo Steel ist in dieser Hinsicht ein echtes Naturtalent. Vom Singen allein kann er natürlich nicht leben. Er hatte es sich immer gewünscht, aber im wahren Leben ist es ganz anders gekommen. Heinrich Schilling ist ein geschickter Handwerker, er kann mit Steinen und Holz umgehen. Seinen selbst aufgebauten Garten- und Landschaftsbaubetrieb in Bilsen hat inzwischen der Sohn übernommen. Jetzt singt er den Kulturpflanzen nichts mehr vor. Ob sie gut gedeihen, so ganz ohne Rock 'n' Roll, ist nicht bekannt.

Nun füllt dieser Sänger natürlich keine großen Säle mehr. Da hatte Elvis Presley schon einen kleinen Vorsprung. Aber wenn Herr Schilling sein zweites Ich hervorkehrt und als Heppo Steel in Lederklamotten auf der Bühne steht, dann strömen die Zuschauer. Wahrscheinlich auch am nächsten Sonntag: Dann singt Heppo zum 26. Mal auf der Bühne in der Moorbekpassage "Blue Suede Shoes" und viele andere Klassiker der Rock-'n'-Roll- und Beat-Ära. Da ist er in seinem Element und kann zeigen, dass es immer noch drauf hat.

Auch im gestandenen Alter ist Heinrich Schilling noch für Überraschungen gut: Mal herunter von den eingefahrenen Gleisen, gelegentlich etwas Neues wagen und die Zuhörer überraschen. Damit ist er immer gut gefahren. Am 6. Februar präsentiert er in der Moorbek-Passage seine neue Begleitband. Und die ist ihrerseits eine Legende in der Norddeutschen Musikszene: Die Bonds waren einst eine Band, die in einem Atemzug mit den großen Rattles genannt wurden. Damals hießen sie noch German Bonds und hatten viele Fans. Nils Taby (Drums), Peter Hesslein (Gitarre) und Zappo Lüngen (Bass) sind Berufsmusiker, die für Geld sogar im Orchester von James Last spielen. Volker Lindner, Heppos alter Gitarrist und langjähriger Weggefährte, ergänzt die Formation.

Für die neue Begleitband hat der Sänger sogar neue Songtexte auswendig gelernt, um das Repertoire angleichen zu können. Das kostet einige Mühe, wenn man 68 Jahre alt ist. Deshalb hat er die ganz schwierigen Sachen auch weggelassen. "Johnny B. Goode", den alten Gassenhauer von Chuck Berry, hat er sich nicht angetan. "Der Text ist zu schwierig", sagt er. Aber ansonsten können die Zuhörer sicher manche Überraschung erleben.

Wer also Heppo Steel in voller Aktion erleben möchte, der kommt am Sonntag, 6. Februar, auf seine Kosten. Von 11 bis 14 Uhr singen und spielen Heppo und die Bonds in der Moorbek-Passage. Wer nicht kommen kann, sollte sich den ersten Februarsonntag 2012 vormerken: Auch dann wird Heppo in der Einkaufs-Passage in Norderstedt-Mitte singen. 2013 auch. 2031 wahrscheinlich immer noch. "Ich will Deutschlands ältester Rock-'n'-Roll-Sänger werden", sagt er selbstbewusst. Ein gutes Stück des Weges hat er schon zurückgelegt.