Kurt Göttsche hat heute seinen letzten Arbeitstag. Nach einem bunten Arbeitsleben geht der Rettungs-Disponent in den Ruhestand

Norderstedt. Die meisten haben ihn noch nie gesehen. Aber seine Stimme kennen viele. Kurt Göttsche nimmt die Notrufe in der Rettungsleitstelle Norderstedt entgegen. Heute, am letzten Tag des Jahres, wird der 64-Jährige zum letzten Mal seinen Dienst in der Einsatzzentrale versehen und sich mit dem Rufnamen "Leitstelle Holstein" melden. Wie so unzählige Male zuvor. Um 22 Uhr endet sein letzter Arbeitstag. Mit Jahresbeginn geht der Mann der ersten Stunde in der Rettungsleitstelle an der Stormarnstraße in den Ruhestand.

"Ich beende mein Arbeitsleben nach 50 Jahren", sagt der Einsatz-Disponent, der in seinem Leben viel erlebt hat und wohl als das gelten kann, was man einen "bunten Hund" nennt. Aber dazu später.

32 Jahre hat Göttsche als Rettungs-Disponent gearbeitet und Rettungsfahrzeuge zum Einsatzort geschickt. Seit sieben Jahren koordinieren er und seine Kollegen die Einsätze für den Kreis Segeberg und Neumünster von Norderstedt aus. In den Räumen des Einsatzzentrums an der Stormarnstraße zählt der Feuerwehrmann zu den Männern der ersten Stunde. Schon vorher hatte er Erfahrungen im Job gesammelt, 26 Jahre lang hatte er seinen Arbeitsplatz in der Leitstelle in Bad Segeberg, dem Vorläufer des modernen Gebäudes in Harksheide. Schon dort nahm er den Hörer ab, wenn die Bürger 112 gewählt hatten, und schickte Retter und Helfer los.

Er hat viel zu hören bekommen, Kurioses ebenso wie Trauriges

In drei Jahrzehnten hat er viel zu hören bekommen, Kurioses, manchmal auch Trauriges erlebt. Doch darüber redet Göttsche nicht, schon wegen des Datenschutzes. Aber auch, weil Verschwiegenheit für ihn immer oberstes Gebot war. Das galt auch schon, als er 1961 seine Lehre als Schiffsteward begann und für zwei Hamburger Reedereien auf große Fahrt ging. Doch nicht lange, das berufliche Leben des Rentners in spe verlief im Zick-Zack-Kurs. "Danach war ich in der Getränkeindustrie, Brause machen", sagt der Feuerwehrmann, der Anfang Januar 65 wird, lachend. "Dabei habe ich als Verkaufsfahrer viele Kneipen besucht."

Wieder wechselt er den Job, machte den Lkw-Führerschein und fuhr für eine Spedition im Güterverkehr. Eine feste Route hatte er nicht, er fuhr "alles von nah bis fern". 1968 erlebte der Brummi-Fahrer seine wohl gefährlichste Reise, allerdings nicht als hauptberuflicher Lkw-Fahrer, sondern im ehrenamtlichen Einsatz. Göttsche hatte sich dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Neumünster angeschlossen und stellte sich ganz selbstverständlich zur Verfügung, als ein Fahrer für eine Hilfsmission in Nigeria und in Biafra gesucht wurde. "Es herrschte Bürgerkrieg", erinnert sich der Helfer, der verheiratet ist und drei inzwischen erwachsene Kinder hat.

Im Mai 1970 lockte ein neuer Job. Für ein Jahr arbeitete Göttsche in der Pathologie der Uni Kiel. Doch der Umgang mit Männern und Frauen, die keines natürlichen Todes gestorben waren, war auf Dauer seine Sache nicht. Göttsche wollte Leben retten, Menschen helfen. Er engagierte sich weiter beim DRK und wurde im Mai 1971 zum Rettungsdienst in Bad Segeberg abgeworben. "Krankenwagenfahrer und Sanitäter hieß das damals", erinnert sich Göttsche. "Ich habe dann den Rettungsassistenten-Lehrgang abgeschlossen, mit Note Eins", sagt er und freut sich noch heute über die Bestnote. Acht Jahre blieb er Rettungsassistent, ehe er angeheuert wurde, um zusammen mit Alfred Beuck die erste Rettungsleitstelle in Bad Segeberg aufzubauen - keine leichte Aufgabe. "Wir mussten erst mal Kartenmaterial zusammensuchen", sagt der Leitstellen-Pionier. Kaum ein halbes Jahr später waren er und seine Kollegen dann gleich voll gefordert: Mit der Schneekatastrophe 1978/1979 hatten sie alle Hände voll zu tun.

Doch dann endete die Arbeit in der Kreisstadt. "Für mich war klar, dass ich mit sieben Kollegen nach Norderstedt gehe", sagt der Kaltenkirchener, der seiner Feuerwehr treu geblieben ist. Seit 31 Jahren ist er Mitglied der Kaltenkirchener Wehr. Sechs Jahre wirkte Göttsche als Gruppen- und Zugführer und sammelte Erfahrungen, die ihm beim Dienst in der Leitstelle halfen.

"Die Kollegen werden ihn vermissen", sagt Göttsches Chef, der Leiter der Rettungsleitstelle, Carsten Stümer. "Es gibt wenige wie Kurt, die alles mitgemacht haben, von den Anfängen mit Papier und Bleistift bis zur heutigen PC-Technik." Manchmal kommen Stümer seine Kollegen an den großen Monitoren vor wie Börsenmakler.

Kurt Göttsche hat die Geschichte der Leitstelle nicht nur mitgemacht, er hat sie auch aktiv auf den Weg gebracht: "Er war Administrator unseres Systems in Norderstedt. Er hat es geschafft, alle Brandmeldeanlagen, und das sind etwa 400, in das System einzupflegen", sagt der 48-Jährige Leitstellen-Chef. Wie alle Kollegen musste auch der Senior im Team regelmäßig zu Schulungen, um sein feuerwehrtechnisches wie auch medizinisches Wissen zu aktualisieren. Es geht ja, so Göttsche, nicht nur darum, Anrufe entgegenzunehmen und die Fahrzeuge loszuschicken: "Wir sollen ja auch neue Ideen und Konzepte entwickeln, um die Einsatzkräfte auf der Straße zu unterstützen."

In mehr als drei Jahrzehnten haben sich so manche Großeinsätze ins Gedächtnis gebrannt. "Der Massenunfall auf der A 7 Mitte der 70er-Jahre. Wir hatten dichten Nebel und Glatteis, und ich war eingesetzt, um drei Verbrannte zu bergen. Doch da kam jede Hilfe zu spät", erinnert sich Göttsche. Helfen konnte er aber bei der Schneekatastrophe 1978/1979. "Hier war ich Tag und Nacht im Einsatz." Nicht nur in der Leitstelle, sondern auch in Sanitäts-Panzern der Bundeswehr. Damit bahnte sich Göttsche den Weg zu Menschen, die ins Krankenhaus gebracht werden mussten.

Nach mehr als 50 Jahren Arbeit, davon fast 41 Jahre im öffentlichen Dienst und fast 40 Jahre im Rettungsdienst, fährt Kurt Göttsche heute das letzte Mal in seinem silberfarbenen Auto zur Leitstelle. Das Kennzeichen seines Autos verrät übrigens, mit wie viel Inbrunst er bei der Arbeit war: SE RL 112, RL steht für Rettungsleitstelle, 112 ist die Rufnummer, unter der oft "Kurt" an der Strippe war.

Am 7. Januar wird Göttsche offiziell von Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote verabschiedet, mit seinen Kollegen feiert er den Abschied vom Arbeitsleben einige Tage später. Für die Zeit danach hat er nur einen Wunsch: "Mit meiner Frau, mit der ich im Februar 43 Jahre verheiratet bin, will ich verreisen. Dorthin, wo wir seit 18 Jahren immer wieder sind, auf einen Bauernhof im Allgäu." Weit weg also von der Leitstelle und vom Kreis Segeberg, für die er so lange tätig war.