Nicht wegsperren und strafen, sondern fordern und fördern, lautete das Motto schon 1917, als die JVA Glasmoor gebaut wurde

Dass heute Strafgefangene im Glasmoor leben und arbeiten, war ursprünglich nicht vorgesehen. Als Hamburg 1917 die rund 200 Hektar große Fläche der heutigen Justizvollzugsanstalt (JVA) kaufte, wollte die Großstadt ihren Bedarf an Brennstoff decken. Denn aus dem Hochmoor ließ sich Torf gewinnen, damals ein bevorzugtes Brennmaterial. Das Problem: Es gab keine Arbeitskräfte. Die Männer waren entweder im Krieg, in der Rüstungsindustrie oder in der Landwirtschaft eingesetzt.

Um Torf zu stechen, kamen daher Gefangene infrage. Etwa 40 waren für den Einsatz vorgesehen, doch Preußen musste dem Sondereinsatz noch zustimmen. Das Okay kam im Juli 1917. Das Projekt passte prima zu den neuen Erkenntnissen, die sich um die Jahrhundertwende durchsetzten. Nicht wegsperren und strafen, sondern fordern und fördern, lautete das Leitmotiv. "Bessert die Erde durch den Menschen, und ihr bessert den Menschen durch die Erde!" steht denn auch über dem Eingang des JVA-Gebäudes, das unter Denkmalschutz steht. Die inhaftierten Torfstecher sollten in einer Haftanstalt ohne Mauern und Stacheldraht leben, im Glasmoor sollte ein Mustergefängnis entstehen. Seit den Anfängen wurde das Gefängnis in Norderstedt immer wieder zum Experimentierfeld für neue Methoden im Strafvollzug. Die Geschichte der JVA Glasmoor ist im neuen Jahrbuch des Heimatbundes Norderstedt nachzulesen.

Zunächst kamen Häftlinge und Aufseher in einer festen Baracke unter. Mitte September rückten die Torfstecher erstmals aus, bewacht von Aufsehern und einem Militärkommando. Zwar stieg der Bedarf an Torf, und die Zahl der Gefangenen sollte auf 60 aufgestockt werden. Doch der Platz reichte nur für höchstens 55. Durch Begnadigungen sank zwar die Zahl auf 23, doch das waren zu wenige, der Torfstich lohnte sich nicht mehr. Zudem löste sich zum Kriegsende das Landsturmbataillon auf, das die Wachen gestellt hatte. So wurden die Häftlinge kurz vor Weihnachten 1918 an den Stammsitz nach Fuhlsbüttel zurückverlegt.

1922 nahmen 40 Gefangene, die als nicht fluchtverdächtig galten, die Arbeit wieder auf. Von 1926 bis 1928 entstand auf dem Gelände der rote Backsteinbau, der bis heute Bestand hat. Ideengeber war der bekannte Architekt und Stadtplaner Fritz Schumacher. Die Säle für je acht Insassen bildeten ein geschlossenes Karee mit großem Innenhof und Freigelände um den Gebäudekomplex herum. Im Südteil wurden Verwaltung, Andachtsraum und Küche untergebracht. Im nördlichen Bereich lagen zu ebener Erde Heizung, Werkstätten und Maschinenraum, im Obergeschoss Krankenrevier, Kleiderkammer, zwei Großraum- und mehrere Arrestzellen. Hier mussten Häftlinge ihre Strafe absitzen, wenn sie gegen die Hausordnung und beispielsweise gegen das Rauchverbot in den Ställen verstoßen hatten. Blickfang ist bis heute der 22 Meter hohe Wach- und Wasserturm.

Der Torfabbau, ursprünglich reine Handarbeit, wurde mechanisiert. Was die Männer in zwei und mehr Metern Tiefe abbauten, transportierte ein Endlos-Förderband nach oben, wo Arbeiter auf Tischen aus den Klumpen Soden formten, zum Trocknen ablegten und später in sogenannten Diemen stapelten. So wie der Torfabbau Stück für Stück automatisiert wurde, zog die moderne Technik auch in der Haftanstalt ein. 1921 wurde das Gas- durch elektrisches Licht ersetzt. Nachdem das Gebäude an die Kanalisation angeschlossen war, wurden 1960 die Kübeltoiletten aus den Zellen entfernt und durch eine Gemeinschaftstoilette ersetzt. Ein Spül- und Duschraum im Ost- und Westflügel kamen hinzu.

Von 1930 bis 1980 bauten die Insassen Gemüse für den Eigenbedarf an. Im Kuhstall, der 1930 gebaut wurde, standen bis zu 150 Tiere. Bis zu 1000 Schweine hatten ebenfalls ihre Heimat auf dem Gefängnis-Gelände. Die Schweine fraßen Speisereste aus "Santa Fu" und aus Krankenhäusern und lieferten Fleisch für die JVA Glasmoor sowie für andere Anstalten.

40 Häftlinge bauten Torf ab, 20 waren im sogenannten Außenkommando "Schmökerhof" in der Landwirtschaft und in den Außenanlagen beschäftigt, 15 in der Gärtnerei. Arbeit gab es für fünf bis sechs Maurer, einzelne Insassen arbeiteten in den gefängniseigenen Werkstätten, in der Tischlerei, Malerei, Klempnerei, Schlosserei, Elektrowerkstatt und Hofschmiede. 1965 wurde der Torfabbau eingestellt.

Das klassische Tütenkleben wurde schon bald durch andere Arbeiten ersetzt. In Lohnarbeit packten die Insassen Hemden ein, bauten Kugelschreiber zusammen, druckten Ansichtskarten und Kalender und verpackten Schrauben, Muttern und andere Kleinteile. Dafür gab es Geld, 0,30 Reichsmark, später 1,30 Mark für gelernte, 90 Pfennig für ungelernte Kräfte.

Anfang 1980 wurde das Haus 2 gebaut. In dem Neubau saßen die Freigänger ein, ab 2005 Frauen, teilweise junge Mütter mit Kindern. Erstmals wird in der Haftanstalt der offene Vollzug für Frauen getrennt vom geschlossenen Vollzug erprobt. Wieder wird die JVA in Norderstedt zum Vorreiter eines, "modernen und leistungsfähigen Strafvollzugs", wie der damalige Justizsenator Roger Kusch sagte.

Schon vorher hatte die Hamburger Justizbehörde zusammen mit der Wirtschaft in der Metropole in der Norderstedter Außenstelle ein bundesweit einmaliges Projekt gestartet: Häftlinge konnten zum Tariflohn arbeiten - und zwar in einem "richtigen" Betrieb. Die Behörde baute für 1,8 Millionen Mark auf dem Anstaltsgelände eine 750 Quadratmeter große Halle, drei Unternehmer gründeten einen Betrieb, in dem die Häftlinge für 14 bis 16 Mark pro Stunde Rollläden und Sonnenschutz herstellten. Die Arbeit sollte Motivation für eine regelmäßige Tätigkeit nach der Haftentlassung sein - ein Ziel, das in den meisten Fällen erreicht wurde.

Zwischenzeitlich gab es aber auch Negativschlagzeilen. In der JVA Glasmoor waren zwischen 1994 und 2003 Menschen untergebracht, die in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollten. Immer wieder gab es Proteste und Demonstrationen gegen die Abschiebehaft. Vor zehn Jahren revoltierten zehn kurdische Abschiebehäftlinge, verbarrikadierten sich in ihren Zellen und drohten mit Selbstmord. 200 Beamte riegelten das Gelände ab und überwältigten die Männer. Der Hamburger Flüchtlingsrat protestierte in seinen monatlichen Sonntagsspaziergängen gegen die Abschiebepraxis. Zum Schluss waren die Container, in denen bis zu 82 Abschiebehäftlinge untergebracht waren, marode. So entschloss sich die Justizbehörde, den Abschiebeknast im November 2003 zu schließen.

Die Zukunft der JVA Glasmoor ist ungewiss. Bisher hieß es, der offene Vollzug mit 185 Plätzen soll 2012 geschlossen und nach Billwerder verlegt werden. Zum aktuellen Stand sagt Karen Ullmann von der Justizbehörde: "Die Schließung hängt am Umbau der JVA Fuhlsbüttel. Da es zurzeit keinen Haushalt gibt, gibt es hierfür auch kein Geld. Hierüber wird also der neue Senat entscheiden."

Natürlich stehen im neuen Jahrbuch des Heimatbundes auch weitere interessante Geschichten, beispielsweise die Chronik der Feuerwehr Friedrichsgabe und die Bedeutung der Straßen- und Wegenamen in Glashütte. Das Jahrbuch gibt's für 9,50 Euro in allen Norderstedter Buchhandlungen, bei "dit und dat" und bei Lange am Harksheider Markt.