Die Kaltenkirchener rätseln, welche Pläne der Gazit-Konzern am Bahnhof verfolgt

Die Herren trugen edle Anzüge, wie man sie in der Innenstadt von Kaltenkirchen nur selten sieht. In dunklen Limousinen rollten sie durch den Ort. Abgedunkelte Scheiben verhinderten den Blick in die Fahrzeuge, die langsam in die schmuddelige Parkpalette an der Brauerstraße rollten. Bis aufs oberste Deck, wo die Besucher den besten Blick auf das Gelände am Bahnhof hatten. Die Szene spielte sich zu Beginn des Jahres 2007 ab. Ein Tag, als internationale Immobilienmanager zum ersten Mal in die Kleinstadt kamen, wo sie Millionen investieren wollten. Ein Tag, als Vertreter eines global operierenden Konzerns herausfinden wollten, wie die Zukunft der brach liegenden 20 000 Quadratmeter zu ihren Füßen möglichst gewinnbringend bebaut werden können.

"Was sind das für Mafiosi-Typen?", fragte sich ein Stadtvertreter, der lieber nicht genannt werden möchte. "Aalglatte Typen", sagt ein anderer. So froh die Kaltenkirchener Stadtväter und -mütter auch waren, endlich einen Investor für den Acker in bester Lage gefunden zu haben, so groß war auch das Misstrauen gegen die Männer im Maßanzug. Geblieben ist es bis heute. Das Bahnhofsumfeld liegt immer noch brach. Wann das neue Geschäftsviertel als Verlängerung der bestehenden Innenstadt eingeweiht wird, ist ein Rätsel.

Die dunklen Herren der 16,5 Milliarden schweren Gazit haben sich schon lange nicht mehr zwischen AKN-Bahnhof und Rotklinker-Rathaus blicken lassen. Immer mehr Kaltenkirchener fragen sich inzwischen, was Gazit mit dem Grundstück vorhat. Für mehrere Millionen Euro hatte die AKN die Fläche an eine Gazit-Tochter verkauft. Hunderttausende hat das Unternehmen nach Schätzungen von Fachleuten in die Planung des neuen Quartiers gesteckt. "Da stecken rund fünf Millionen Euro drin", sagt ein Baufachmann. Ein Bagger ist hier jedoch noch nie aufgetaucht. Ab und zu wird der Rasen gemäht. Nur nebenan, auf einem kleinen stadteigenen Bahnhofsvorplatz, sind ein Wasserspiel und ein Spielplatz entstanden. Die Stadt baute, um bereits zugesagte Zuschüsse nicht zu verlieren. Kinder sieht man hier nur selten.

Wenn es nach den Wünschen der Kaltenkirchener Politik und Verwaltung gegangen wäre, wären die Bauarbeiter für das neue Stadtzentrum bereits Anfang des Jahrzehntes angerückt, als die AKN ihr eigenes Millionenprojekt abgeschlossen hatte: Die Eisenbahnlinie war in einem Tunnel verschwunden. Im Jahr 2004 fuhr der erste Zug durch den neuen Bahnhof, der jetzt als moderner, aber zugiger Solitär auf der Brache thront.

Ein Investor namens Hans-Dieter Schmitter begann, sich über die Fläche Gedanken zu machen. Ein Vorgang, der sich weitgehend im Verborgenen abspielte. Die Öffentlichkeit bekam nie Pläne zu sehen. Nicht einmal alle Kommunalpolitiker kannten den Namen des Mannes aus dem Rheinland.

Im Jahr 2007 trat dann die vermeintlich überraschende Wende ein. Der Vorstand der Hamburger Planungsgesellschaft Matrix kündigte den Baubeginn für September an. Bauherr sollte eine Firma namens Tutela sein, die zu 100 Prozent Gazit gehört und 25 Millionen Euro investieren wollte. Matrix residiert in einem exklusiven Büro an den Hamburger Alsterarkaden. Ein Stockwerk darüber - nicht minder nobel - saß die deutsche Leitung von Gazit. Ein weiteres Büro betrieb Gazit Deutschland am Kurfürstendamm in Berlin.

Matrix plante, stellte Ideen in der Politik vor und betonte stets, alles gehe voran. Dass Vorstand Martin E. Schaer zur alles entscheidenden Bauausschusssitzung zu spät kam, sah man dem Porsche-Fahrer nach. Kaltenkirchen war sich einig: Endlich geht es voran. Allerdings etwas langsamer als erhofft. Erst im März 2008 konnte Martin Schaers Team die Planungen beenden. Tutela, die bis dahin nie öffentlich in Erscheinung getreten war, hätte bauen können.

Der teuerste Rasen des Kreises Segeberg blieb jedoch weitere Monate unberührt. Erst im Dezember 2008 sah es erneut nach Bewegung am Bahnhof aus. Von Tutela war jetzt keine Rede mehr. Eine Geschäftsführerin von Gazit verkündete unter dem nagelneuen Bauschild den Baubeginn für das "Quartier 4", das Ostern 2010 eröffnet werden sollte. Eine eigens für das Projekt Kaltenkirchen gegründete Gazit-GmbH trat erstmals auf.

Tatsächlich wurde ein Bauzaun aufgestellt. Als jedoch die Bagger wieder nicht kamen, verschwand die Absicherung im Frühjahr wieder. Dass nicht gebaut wurde, begründete Gazit im Februar mit der Weltwirtschaftskrise. Die Entscheidung sei in der Konzernzentrale in Israel gefallen, hieß es bedauernd von zwei Projektplanern, die das Unternehmen kurz darauf verließen.

Das Bauschild steht bis heute am Bahnhof. Im Internet ist bei Gazit immer noch "2010" als Eröffnungsdatum für das "Day-to-day-Center Hamburg/Kaltenkirchen" nachzulesen. Doch hinter den Kulissen zeichnet sich ab, dass der Konzern kaum noch Interesse an dem Projekt hat. Das Büro in Hamburg wird demnächst geschlossen und nach Frankfurt verlegt. Eine neue Projektplanerin muss nach Informationen der Norderstedter Zeitung mit Informationen aus dem Rathaus versorgt werden, weil intern die Kommunikation nicht funktioniert. Ob die Gazit Kaltenkirchen GmbH noch für das Projekt zuständig ist, weiß im Rathaus niemand so genau.

Frostig verlief Anfang des Jahres ein Gespräch von Bürgermeister Stefan Sünwoldt mit dem Geschäftsführers von Gazit Deutschland, Ohad Gil, der kaum deutsch spricht. Nicht nur die Verständigungsprobleme sorgten für eine angespannte Atmosphäre. Gil hatte Sünwoldt vorgeschlagen, am Bahnhof ein paar eingeschossige Gebäude und Parkplätze zu bauen - ein unannehmbarer Vorschlag für eine Stadt, die sich ein neues Zentrum wünscht.

Mit einem ähnlich bizarren Vorschlag hatte Gazit den Möbel- und Moderiesen Dodenhof brüskiert, der zu erkennen gegeben hatte, dass er am Bahnhof investieren wollte. Dodenhof verfügt über 50 000 Quadratmeter in Kaltenkirchen. Gazit bot 150 Quadratmeter am Bahnhof im Erdgeschoss für Gastronomie und 80 Quadratmeter im Obergeschoss (ohne Fahrstuhl) an. Zwei weitere Investoren, die das Grundstück übernehmen wollten, blitzten ebenfalls ab. Dem Vernehmen nach forderte Gazit einen Preis, der als abschreckend charakterisiert wurde.

"Es ist eindeutig, dass Gazit nicht verkaufen will", sagt ein altgedienter Stadtvertreter, der sich wie viele Kaltenkirchener seine Gedanken macht, welche Ziele das Unternehmen tatsächlich verfolgt. Mehrere Varianten sind im Rennen. Erste Möglichkeit: Gazit wartet tatsächlich auf bessere Zeiten und will mit dem Bau eines Geschäftsviertels noch warten. Zweite Möglichkeit: Gazit spekuliert mit viel Geduld und wartet auf einen Käufer, der für das Grundstück einen hohen Preis zahlt. Dritte Möglichkeit: Gazit hat derzeit keinen Plan. Vierte Möglichkeit: Das Unternehmen hat nie ernsthaft an eine Investition gedacht, sondern musste überschüssiges Kapital "parken". Sicher scheint im Rathaus nur eines zu sein: "Die Entscheidungen werden nicht in Deutschland getroffen. Wir haben es mit einem Global Player zu tun."

In diesen Worten schwingt auch die Erkenntnis mit, dass eine kleine Stadtverwaltung kaum auf Augenhöhe mit einem internationalen Konzern verhandeln und Verträge schließen kann. Inzwischen ist Politik und Verwaltung klar, dass sie sich ein strategisches Versäumnis vorwerfen lassen müssen. Im Kaufvertrag zwischen der Stadt und Gazit fehlt ein Passus, der die gesamte Vereinbarung außer Kraft setzen kann, wenn nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums gebaut wird. "Wir hätten eine Fachanwalt einschalten müssen", heißt es jetzt selbstkritisch und frustriert. Auch potenzielle Mieter, die ins Geschäftszentrum einziehen wollten, sind enttäuscht. In Kaltenkirchen kreisen bereits Gerüchte, dass der Sky-Markt am bestehenden Standort expandieren will und seine Umzugspläne in Richtung Bahnhof aufgegeben hat.

Oder kommt doch die Wende? Nach Informationen der Norderstedter Zeitung verhandelt Gazit derzeit mit einem Investor aus Wuppertal, der Interesse an dem Grundstück hat und Erfahrungen beim Aufbau von Einkaufszentren vorweisen kann.

Gazit Immobilien äußerte sich nicht zu Anfragen der Redaktion.