Der Eichenhof in Alveslohe gibt Behinderten wie Jan Adolphsen die Chance auf ein weitgehend selbstbestimmtes Leben

Alveslohe. "Wir haben lange gesucht, bis wir einen Ort fanden, der uns haben wollte", erinnert sich Dietmar Schönert. Für ihre Tochter Dominique, die mit einem Down-Syndrom zur Welt kam, wünschten er und seine Frau Doris sich einen Lebensplatz mit Entwicklungsmöglichkeiten. Mit fünf weiteren Elternpaaren gründete das Ehepaar Schönert nach fünf Jahren der Suche 1996 in Alveslohe den Eichenhof.

Der Eichenhof-Verein kaufte den Feldhof mit drei Hektar Land. In Eigenarbeit bauten die Eltern das Wohnhaus um. 1997 zogen die ersten neun behinderten jungen Menschen mit ihren Betreuern ein. Fünf Jahre später wurde das dritte Wohnhaus fertiggestellt, 2009 folgte der Umbau der Scheune, die jetzt Albergo heißt. In acht Wohnungen werden heute 40 Menschen jeden Alters mit geistigen, körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen betreut. "Albergo heißt Herberge, denn die Bewohner sind Reisende auf dem Weg in die Selbstverantwortung ihres Lebens", sagt Dietmar Schönert.

Mit ihren Betreuern bilden die Bewohner eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Grundlage ihrer Arbeit ist die sozialtherapeutische Heil-Pädagogik des Anthroposophen Rudolf Steiner. Sein Ansatz: Das Umfeld soll die Fähigkeiten der Bewohner fördern, damit sie ihr Leben, so weit es geht, selbst meistern können.

Besucher, die einen Bewohner auf dem weitläufigen Gelände treffen, merken oft erst nach ein paar Minuten, dass sie sich mit einem Behinderten unterhalten. Manchen Bewohnern ist der Hilfebedarf aber auch gleich anzusehen. "Das Zusammenleben klappt prima", sagt Dietmar Schönert. Als Vorstandsmitglied ist er stets auf der Suche nach Sponsoren. "Wir nennen sie Eichelhäher, weil sie die Idee des Eichenhofes wie Eicheln weiter tragen", sagt er. So spendet eine Firma jährlich an den Hof, statt Weihnachtspräsente an ihre Kunden zu verteilen, und Hellen Kwon und Peter Gailliard von der Hamburgischen Staatsoper sangen bei einem Benefizkonzert des Fördervereins.

Damit die Pflegekosten durch Pflegesätze abgedeckt werden konnten, musste Schönert anfangs viel Überzeugungsarbeit bei den Behörden leisten. "Inzwischen sind wir eine kleine, aber feine und anerkannte Einrichtung geworden", sagt der 62-Jährige stolz.

Seine Tochter Dominique lebte hier acht glückliche Jahre, von ihrem 19. Geburtstag bis zu ihrem frühen Tod durch einen angeborenen Herzfehler. "Sie hat uns den Eichenhof als Erbe hinterlassen", sagt er, und seine Frau Doris ergänzt: "Wir haben das alles ja nicht nur für unsere Tochter gemacht."

Sondern auch für Menschen wie Jan Adolphsen. Der 29-Jährige ist lernbehindert mit autistischen Zügen. "Für eine Behindertenwerkstatt war er zu fit", sagt Dietmar Schönert, der ihn durch seine Tätigkeit als Berufsberater für das Berufsausbildungswerk kannte. Dort machte Jan eine Ausbildung zum Beikoch. Kochen war sein Wunschberuf. "Ich war immer gern in der Küche", sagt Jan Adolphsen, der einen Hauptschulabschluss und auch einen Führerschein hat.

Nach der Ausbildung arbeitete er bei einem Partyservice, kam dort aber nicht zurecht. In einer Werkstatt für Behinderte war er dagegen unterfordert. Es folgten zwei Jahre bei einem Integrationsunternehmen. Nach einem Praktikum in der Küche des Eichenhofs erhielt Jan Adolphsen 2009 dort einen festen Job. "Er hat immer sein eigenes Geld verdient", sagt seine Mutter Regina Adolphsen, Lehrerin an einer Gesamtschule in Glinde.

Im Juli bezog ihr Sohn seine erste eigene Wohnung auf dem Eichenhof: 50 Quadratmeter mit Küche, Dusche, Wohnzimmer und Schlafgalerie im Albergo. Für Jan Adolphsen ein großer Schritt. "Am Anfang fiel es mir schwer, aber jetzt war ich schon drei Wochen nicht mehr zu Hause", sagt er stolz. Seine Eltern sind froh über seine neu gewonnene Selbstständigkeit. "Wenn er früher unzufrieden war, hat er immer gesagt, er ziehe aus. Es ist schön, dass er diese Möglichkeit bekommen hat", sagt Helge Adolphsen, der als Arzt im Hamburger Gesundheitsamt arbeitet.

Einmal im Monat sind sie zum Elternarbeitstag in Alveslohe. "Es gibt immer was zu streichen oder zu bauen", sagt Helge Adolphsen. Mitarbeiten müssen auf dem ökologisch geführten Eichenhof alle Bewohner - ihren Fähigkeiten entsprechend. Die Wäscherei und die Gärtnerei dienen der Selbstversorgung der Bewohner, und die Pferde, Hunde, Katzen, Ziegen, Rinder, Schweine, Hühner und Gänse müssen gepflegt werden. Arbeit gibt es auch in der Webstube, der Textilwerkstatt und der Kunstwerkstatt.

Die Bewohner leben in familienähnlichen Gruppen. Pflege und Therapie werden individuell abgestimmt. Es gibt einen Heimarzt und therapeutische Angebote wie Reiten, Malen und Musizieren. Die gute Anbindung ans Dorf wird durch engen Kontakt zu den Nachbarn und zur Gemeinde gepflegt. Außerdem gibt es ein Kulturangebot mit Veranstaltungen und Hoffesten.

Jan Adolphsen hat durch die Eichenhof-Gemeinschaft Selbstvertrauen gewonnen. Ihm fehlt nur noch eines: Er hätte gern eine Freundin. Deshalb hat er sich bei einer Partnervermittlung für geistig behinderte Menschen angemeldet. Ein Psychologe begleitet das erste Treffen. "Aber das nächste Date muss man selbst organisieren", sagt Jan Adolphsen. Seiner Mutter ist klar, dass er das schaffen wird. "Jan ist nämlich ganz schön praktisch veranlagt."