Ein lediger Vater in Norderstedt kämpft nach der Trennung von der Freundin für mehr Zeit mit dem gemeinsamen Kind . Karriere ist ihm egal.

Er will Papa sein. Gleichberechtigt mit der Mutter. Doch die sagt Nein. Und dieses Urteil ist in Deutschland immer noch wichtiger als alle Bedenken, Wünsche und Hoffnungen des Vaters. Das will der Norderstedter Vater nicht länger hinnehmen.

Der Vater steht alleine in dem hübschen Kinderzimmer in einem Norderstedter Haus. Playmobil-Figuren und ihr Zubehör liegen verteilt auf dem Boden. So wie das Kind sie vor einem Tag nach dem Spielen liegen gelassen hat. Das Kind ist jetzt wieder weg. Bei der Mutter. Es ist sehr ruhig. Hier so zu stehen, das ist für den Vater die schlimmste Form der Einsamkeit. "Ich denke dann, sie kommt gleich und sitzt wieder da. Aber sie kommt nicht. Das fühlt sich schlimm an, ein wenig so, als ob das Kind tot wäre." Dann schießen dem Vater die Tränen in die Augen, er schluchzt. Aber seine Beherrschung verbietet es ihm, dass auch nur eine Träne über seine Wangen läuft.

Der Vater will stark sein. In einer Situation, die für ihn die Schlimmste auf der Welt ist.

Er hatte eine Frau, eine Tochter, eine Familie. Ohne Trauschein mit der Mutter zwar, aber wer braucht schon Trauscheine, wenn ein Kind da ist, das Mutter und Vater zusammenschweißt. Auf ewig.

Andere Frauen würden vielleicht sagen, die Mutter hatte Glück. Denn der Vater ist keiner, der sich nicht kümmert. Der am Tag malocht und abends säuft. Der lieber auf den neuen Audi spart, statt auf den jährlichen Familienurlaub. Der die Mutter mit Windeln und Muttermilch-Pumpe alleine lässt und sich über Internet-Portale die schnelle Nummer mit der alten Liebe bucht. "Ich war von morgens bis abends Papa. Ich war da, als das Kind aufstand, ich schmierte ihm die Brote, ich brachte es zum Kindergarten. Ich spielte mit ihm am Nachmittag und brachte es abends zu Bett", sagt der Vater. Die Mutter konnte arbeiten gehen. Der Vater arbeitete von zu Hause aus. "Ich bin nicht besessen, Karriere zu machen", sagt der Vater. Da zu sein für das Kind, ist ihm wichtiger.

Bei nur 25 Prozent der Trennungskinder heilen die Wunden auf der Seele

Da waren immer Probleme zwischen Vater und Mutter. Aber auch viel Verständnis. Und der Wille, es gemeinsam irgendwie zu schaffen. Sie suchen sich Hilfe. Bis zur Trennung vergeht kein Jahr, in dem sie nicht von einem Familienberater unterstützt werden. Als der Bruch der Beziehung nicht mehr zu vermeiden ist, herrscht Einigkeit. Für das Kind wird jetzt die Welt zusammenbrechen. Aber Vater und Mutter wollen ihm zeigen, dass sie beide da sind. Gleichberechtigt in Alltag und Erziehung.

Kann das gut gehen? Dem Vater gehen die Statistiken durch den Kopf. Die Studie der Hamburger Soziologin Anneke Napp-Peters. Danach schaffen es nur 25 Prozent der Scheidungskinder, die Folgen der Wunden auf ihren Seelen zu überwinden und sich zu "lebenstüchtigen Erwachsenen" zu entwickeln. Die große Mehrheit schleppt sich mit den traumatischen Erlebnissen der Kindheit durch den Alltag und hat es schwer, eine längerfristige Perspektive für das eigene Leben zu entwickeln. Unter den 25 Prozent derer, die ihr Leben in den Griff bekommen, sind ausnahmslos Kinder, die gute Kontakte zu beiden Eltern und viel Unterstützung von außen haben.

Also entscheiden sich Vater und Mutter für das Wechselmodell. Eine Woche ist das Kind bei ihr, die andere Woche bei ihm. Urlaube und Feiertage werden im Einvernehmen geregelt. Der Vater glaubt ganz fest, dass es so für das Kind am besten ist. Dass es die Trennung der Eltern hauptsächlich als eine räumliche wahrnimmt.

Bei der Mutter aber sind längst die Zweifel gekeimt. Unaufhörlich wachsen sie im Prozess der Trennung. Der Vater erlebt, wie die Mutter beginnt, nur noch das Schlechte in ihm zu sehen. Das, was dem Vater wie vielen Eltern im Alltag an Fehlern in der Erziehung unterlief, wird in der Darstellung der Mutter maßlos überzeichnet. "Ich stand plötzlich als gewalttätiger, aufbrausender und unberechenbarer Typ da", sagt der Vater, den Freunde eher als analytisch, sachlich und beherrscht beschreiben.

Das Jugendamt unterstützt die Mutter in ihren Zweifeln gegen den Vater

Die Mutter holt sich Rat bei einer Sachbearbeiterin im Norderstedter Jugendamt. Ihre Zweifel werden hier geteilt und manifestiert. Gemeinsam mit dem Amt entscheidet die Mutter, dass der Lebensschwerpunkt des Kindes bei ihr sein soll. Das Wechselmodell wird durch die Standard-Wochenendlösung ersetzt. Alle zwei Wochen Freitag bis Sonntag, vielleicht hier und da mal einen Tag unter Woche. Basta.

Klaus Struckmann, der Leiter des Jugendamtes in Norderstedt, sagt, die Grundlage für alle Entscheidungen bei der Umgangsregelung für Trennungskinder sei das Wohl des Kindes. "Dazu gehört selbstverständlich der regelmäßige Kontakt zu beiden Elternteilen." Nur in Ausnahmefällen könne der Kontakt zu einem Elternteil eingeschränkt werden. Die Intensität des Kontaktes müsse von den Eltern definiert werden und zwar so, dass sie den Bedürfnissen des Kindes entspreche. "Wir haben es häufiger mit Vätern zu tun, die sich komplett raushalten wollen. Aber es gibt auch vermehrt Fälle, in denen die Kinder den Lebensschwerpunkt beim Vater haben", sagt Struckmann. Dass eine Mutter ihre Kinder abgebe, sei früher gesellschaftlich undenkbar gewesen, sagt Struckmann.

Und der Vater ist sich sicher, dass es heute gesellschaftlich undenkbar zu sein scheint, dass ein Mann sich nicht damit abgibt, dass ein Kind seinen Vater nur in "homöopathischen Dosen" verabreicht bekomme. Dass ein getrennter Vater mehr sein will als Unterhaltszahler und Grüßaugust am Wochenende. Sein Kampf für eine gleichberechtigte Wechselregelung im Umgang mit seinem Kind ist für den Vater auch zu einem Kampf um die Glaubwürdigkeit seiner Absichten und sein Selbstwertgefühl geworden.

Was er bei den Beratungsgesprächen mit der Mutter erlebt hat, lässt ihn verzweifeln. Immer wieder stehe er vor einer Wand aus Vorurteilen. In seinem Engagement für ein Mehr an Zeit mit seinem Kind werde ihm Heimtücke unterstellt. "Sie wollen doch nur ihrer Ex eins auswischen!", hat er zu hören bekommen. Eine Beraterin nahm ihn beiseite: "Ihre Frau hat sie verlassen. Sie sind gekränkt. Aber sie haben das Kind doch am Wochenende. Lenken Sie sich ab, kaufen Sie sich ein tolles Auto! Treffen Sie eine neue Frau! Aber verrennen Sie sich nicht in der Umgangsregelung!" Kaum jemand nehme ihn ernst, sagt der Vater. Das sei kein Wunder. Denn ausschließlich Frauen würden seinen Fall begleiten. Meistens selbst Mütter. Die stünden im Zweifel immer auf der Seite der Mutter. Ist das nur die Paranoia eines gekränkten Vaters?

Ich, Ich, Ich: Die Eltern denken zu wenig an das Kind

"Es ist nachvollziehbar, dass eine Familienberaterin sich schneller in die Situation der Mutter einfühlen kann als in die des Vaters. Aber es ist nicht professionell, wenn sie sich auf die eine oder andere Seite schlägt", sagt Carolin Becker. Die Sozialpädagogin leitet seit 2005 die Familienberatung in Norderstedt und hat 25 Jahre Erfahrung in der Beratung von Müttern und Vätern. Sie erkennt und bedauert die Tragik des Norderstedter Vaters. Die Ursache dafür liege aus Beckers Sicht aber in den Kommunikationsproblemen zwischen Mutter und Vater und nicht in der Beratung oder beim Jugendamt. In Norderstedt sei man mit dem "Cochemer Modell" auf einem erfolgreichen Weg. Im Arbeitskreis Trennung und Scheidung würden Familiengericht, Anwälte, das Jugendamt und Beratungsstellen gemeinsam mit den Eltern nach Lösungen und in sehr strittigen Fällen nach Wegen für Wiederaufnahme von Gesprächen suchen. "Aber es gibt eben Fälle, da kann der Streit auf Paarebene nicht überwunden werden. Da wurde lange versucht, die gemeinsame Erziehung zu organisieren. Aber am Ende nutzt alle Hilfe nichts", sagt Becker. Das Schlimme sei, dass das Kind oft aus dem Fokus des Verfahrens gerate. Becker: "Die Frage ist doch, ob das Kind zu seinem Recht kommt. Von den Eltern höre ich immer nur ,Ich, Ich, Ich'. Die Eltern müssen lernen, von sich abzusehen. Sie haben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten."

"Mir ist klar, dass es Schufte unter den Vätern gibt und bitter leidende, ganz miserabel behandelte alleinerziehende Mütter", sagt der Vater. Ihre Schicksale aber empfindet der Vater in der Öffentlichkeit als überrepräsentiert. Und nicht zuletzt deswegen stelle das Familienrecht die Interessen der Mütter über die der Väter.

Aber war nicht die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe eine große Hilfe für die unverheirateten Väter? Die Karlsruher Richter erklärten Anfang August die bisherige Regelung des Sorgerechtes für verfassungswidrig, wonach die Väter nur mit Zustimmung der Mutter ein gemeinsames Sorgerecht für die Kinder erhalten können. Das Sorgerecht können unverheiratete Väter jetzt also unabhängig beantragen. Danach dürfen sie Einspruch erheben, wenn die Mutter mit dem Kind einfach weit weg ziehen und so jeder praktikablen Umgangsregelung ausweichen möchte. Die Väter dürfen in der Schule nach den Leistungen der Kinder fragen, beim Arzt den Gesundheitszustand des Kindes erfahren, ein Konto für das Kind eröffnen und mitbestimmen, welcher Religion das Kind angehört. Die Entscheidung wurde von Familienrechtlern gefeiert, weil der Alltag der Trennungskinder nun wieder stärker von Mutter und Vater geprägt werde.

Das Sorgerecht ist ein Stück Papier im Schreibtisch des Vaters - mehr nicht

"Ach, das Sorgerecht. Das habe ich doch längst. Was bringt das schon im Alltag. Das ist nur ein Stück Papier in meinem Schreibtisch", sagt der Vater in Norderstedt. Wenn die Mutter mal wieder die mühsam abgesprochene Woche Urlaub von Vater und Kind einfach absagt, dann könne er damit gar nichts ausrichten.

Ein Buch liegt auf seinem Wohnzimmertisch. "Der entsorgte Vater" von Katrin Hummel. Für Väter wie ihn ist dieses umfangreiche Buch eine Bibel. Weil es offen sagt, dass die Dimension des Unrechts gegenüber Scheidungs- und Trennungsvätern in der deutschen Rechtswirklichkeit ein tragisches Ausmaß angenommen habe. "Der Grund: Deutschlands Rechtswirklichkeit. Und der weit verbreitete Glaube, dass Frauen die besseren Eltern sind. Deutschland ist das Land der Mütter: Es muss endlich etwas getan werden, damit Gerechtigkeit einkehrt. Denn Vater ist man für immer", schreibt Hummel.

Der Regisseur Douglas Wolfsperger hat den gleichnamigen Film "Der entsorgte Vater" gemacht. Selbst ein von seiner Tochter getrennter Vater, beschreibt Wolfsperger darin die Schicksale von Leidensgenossen. Mit einem Gerichtsurteil hat die Mutter des Kindes erreicht, dass Wolfsperger eine Szene, in der er für zwei Sekunden das Bild seiner Tochter zeigt, herausschneiden muss. Der Regisseur sammelt Spenden für eine Musterprozess gegen die Entscheidung und für das Recht des Vaters, das Bild seines Kindes zeigen zu dürfen.

"Ich will dazu beitragen, dass über Schicksale wie meines in der Öffentlichkeit diskutiert wird", sagt der Vater in Norderstedt. Er kämpft nicht gegen die Mutter. Er kämpft für mehr Zeit mit seinem Kind. Er steht alleine mit den Playmobil-Figuren in dem hübschen Kinderzimmer seiner Wohnung. Das Wochenende steht vor der Tür. Sein Wochenende. Dann wird das Kind hier wieder spielen. Und der Vater darf Vater sein.

Diese Geschichte wurde auf Wunsch des Vaters anonymisiert. Rückschlüsse auf das Kind oder die Mutter sollen zu ihrem Schutz weitestgehend verhindert werden.