Lokalhistoriker Jan-Uwe Schadendorf entdeckt bei Recherchen für sein neues Buch einen sensationellen Eintrag im Poesiealbum eines Schulkameraden aus der Nachbarschaft

Der Leser muss ein wenig blättern, bis er auf die größte Kostbarkeit stößt. Auf Seite 140 hat Jan-Uwe Schadendorf aus Bad Bramstedt das mit liebevollen Schnörkeln verzierte Schriftstück platziert, das die Jünger des berühmtesten Bramstedters in Entzücken versetzen dürfte. Der Lokalhistoriker Schadendorf hat einen Eintrag in ein Poesiealbum ausfindig gemacht, der von Karl Lagerfeld stammt. In Schönschrift hinterließ der damals 13-Jährige eine Goethe-Weisheit für einen Klassenkameraden aus der Nachbarschaft. Damals unterschrieb der Schüler, der heute zu den berühmtesten Modeschöpfern der Welt zählt, noch mit seinem vollständigen Namen: Karl Otto Lagerfeld.

"Des Lebens Mühe Lehrt uns allein des Lebens Güter zu schätzen" schrieb der pubertierende Karl mit einem kleinen Rechtschreibfehler in das Album eines Schulkameraden. Leicht distanziert fügte er die Worte "Zur freundlichen Erinnerung" am 24. März 1947 hinzu.

Bei wem die Lagerfeld-Reliquie jahrzehntelang im Bücherregal sorgfältig verwahrt wurde, will Schadendorf nicht verraten. Vor einem Jahr stieß er bei seinen Recherchen für sein neues Buch auf das Poesiealbum und erhielt die Erlaubnis, den Lagerfeld-Eintrag zu veröffentlichen. "Das ist eine kleine Sensation", sagt Schadendorf über seinen Fund, den ab Mitte September jeder bestaunen kann. Dann erscheint sein neues Buch "Bad Bramstedt in den Zeiten", das mit 324 Seiten und 1000 Fotos einen umfassenden Einblick in die Geschichte der Stadt von den 20er- bis zu den 50er-Jahren ermöglicht.

Auch Lagerfelds Mutter Elisabeth schrieb in das Poesiealbum

An das Leben einer Berühmtheit wie Lagerfeld kam Schadendorf dabei nicht vorbei. Der Industriellensohn Lagerfeld war mit seiner Familie während des Zweiten Weltkriegs vor dem Bombenkrieg in Hamburg nach Bad Bramstedt geflohen. Auf dem Gut Bissenmoor verbrachte Karl Kindheit und Jugend und machte sein Abitur in der Jürgen-Fuhlendorf-Schule, bis er Bad Bramstedt 1953 mit seiner Elisabeth in Richtung Paris verließ, wo seine Weltkarriere begann. Auch Mutter Elisabeth hinterließ einige Zeilen "zur freundlichen Erinnerung" in dem Album. Sie zitierte einen Spruch aus der Feder Schillers.

Die bisher unveröffentlichten Seiten aus dem Poesiealbum sind nicht die einzigen Kostbarkeiten, die Schadendorf für "Bad Bramstedt in den Zeiten" zusammen getragen hat. Bramstedter und Besucher der Stadt werden in der Fülle der Dokumente Spannendes, Heiteres, aber auch Bedrückendes aus der Geschichte der Kleinstadt erfahren.

Sein erstes, mittlerweile vergriffenes Buch "Alt Bramstedt" über die Historie des Ortes bis zum Ersten Weltkriegs hat er vor 25 Jahren veröffentlicht.

Damit war erst ein Anfang gemacht. Schadendorf sammelte weiter Fotos und alte Postkarten, wühlte in Archiven und sprach mit Zeitzeugen. "Das musste irgendwann auch mal gezeigt werden", sagt der 57 Jahre alte Bankkaufmann, der als Unternehmensberater tätig ist. "Da stecken 20 Jahre Sammelleidenschaft drin." Dass sein neues Buch jetzt herauskommt, ist kein Zufall: In diesem Jahr feiert Bad Bramstedt das 100-jährige Bestehen der Stadt.

Er habe bei diesem Buch nicht den Anspruch, eine Chronik zu veröffentlichen, sagt Schadendorf. Aber er wolle Geschichte vermitteln und Abläufe darstellen. Das Buch ist nach Straßen gegliedert, die Schadendorf mit Fotos aus unterschiedlichen Jahrzehnten präsentiert. Dazu liefert er viele Informationen und lässt alte Bramstedter zu Wort kommen. Seine Recherchen führten ihn auch immer wieder zu den einstigen "Bramstedter Nachrichten" und ins Stadtarchiv. "Ich habe dort alles, was greifbar war, gescannt", sagt der Hobbyhistoriker, der immer wieder über die Schätze staunte, die dort verborgen lagen.

"Ich habe da noch etwas", sagte die alte Dame vom Gardasee

Schadendorf entdeckte zum Beispiel ein Album mit Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg, das eine Münchenerin dem Stadtarchiv zur Verfügung gestellt hatte. Mit dem Paketzettel und per Internetrecherche machte er die Frau an ihrem Zweitwohnsitz am Gardasee ausfindig und fand heraus, dass sie den Nachlass der Bramstedterin Ilse Köhler verwaltete, der einst der alte Köhlerhof gehörte. "Ich habe da noch was", hatte die alte Dame am Ende des Gesprächs gesagt.

Eine Woche später erhielt Schadendorf ein Paket mit Fotos, Zeitungsausschnitten und anderen Dokumenten aus Italien. Ein Passierschein des Bramstedter Arbeiter- und Soldatenrates aus der wirren Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zählt ebenso dazu wie eine Mitgliedskarte des Vaterländischen Frauenvereins. "Das war ein Volltreffer", sagt Schadendorf.

Der "Club alter Bramstedter" unterstützte den Autor bei seiner Arbeit. Die Männer und Frauen schrieben Erinnerungen aus der Straße auf, in der sie aufgewachsen sind. "Ich muss nicht schlaumeiern", sagt der Autor. "Die Alten wissen es besser." Im Kapitel Schäferberg berichtet Lisa Böje zum Beispiel über den "Weltuntergang", der scheinbar am 31. Mai 1945 über Bad Bramstedt hereinbrach. Die englischen Besatzungstruppen hatten auf einem Hof ein Lager mit ausgedienten Waffen und Munition eingerichtet, das am Tag des "Weltuntergangs" explodierte und zwei Bauernhöfe zerstörte. Außerdem erhielt Schadendorf die Genehmigung aus dem Buch "Aufbau des Kurhauses" des Alvesloher Historikers Gerhard Hoch zu zitieren.

Auf den Besitz der Flugblätter standen Lagerhaft oder Tod

Einen großen Raum in dem Buch nimmt auch die Zeit des Nationalsozialismus ein. Zwar plant Schadendorf, ein Extra-Buch über die Nazi-Zeit in Bad Bramstedt zu schreiben, doch aussparen wollte er dieses Kapitel der Lokalhistorie in "Bad Bramstedt in den Zeiten" keinesfalls. Auch zu diesem Thema hat er bedeutende Dokumente gefunden. Dazu zählen aus dem Köhlerschen Nachlass Flugblätter, die von alliierten Flugzeugbesatzungen im Zweiten Weltkrieg über Bad Bramstedt abgeworfen wurden und die Deutschen über die Gräuel des Nazi-Terrors informierten. Der Finder hatte die Blätter aufbewahrt, obwohl auf den Besitz bis zum Ende des Krieges die Todesstrafe oder Lagerhaft standen. Außerdem zeigt Schadendorf ein Foto der ehemaligen Besitzerin des Schlosses, die von feixenden SA-Männern abgeführt wird. Sie trägt ein Schild um den Hals mit der Aufschrift: "Ich habe dem deutschen Volk Brot gestohlen."

Das Buch erscheint in einer Auflage von 1000 Exemplaren

Ursprünglich hatte Schadendorf geplant, 240 Seiten zu veröffentlichen. Im Mai hatte er 280 angepeilt. Jetzt sind 324 geworden. "Und immer noch ist mir das Material nicht ausgegangen", sagt Schadendorf. Das Buch erscheint durchgehend vierfarbig gedruckt in einer Auflage von 1000 Exemplaren im Selbstverlag. Der Autor übernimmt die Vorfinanzierung. Wenn mehr als 900 Exemplare verkauft werden, sind die Kosten gedeckt.

"Bad Bramstedt in den Zeiten" wird im Buchhandel 45 Euro kosten und ist ab Mitte September in den Bramstedter Buchhandlungen "Hans im Glück" und "Buch und Medien" erhältlich. Ein Euro pro Buch kommt der Gildenstiftung zugute. Vorbestellungen nimmt Schadendorf im Internet auf seiner Homepage www.alt-bramstedt.de entgegen.