Die Tochter des Opfers versuchte vor Gericht, den Vorfall als “Missverständnis“ darzustellen. Der Angeklagte kommt mit Bewährungsstrafe von sechs Monaten davon

Norderstedt. Es ist ein ungewöhnliches Strafverfahren, das hier vor dem Schöffengericht in Norderstedt stattfindet: Der Angeklagte Wolfgang M., 46, aus Norderstedt hat zugegeben, im Januar diesen Jahres versucht zu haben, die 86-jährige demenzkranke Anna W. aus Norderstedt zu vergewaltigen. Auf seinen Angaben basiert im Wesentlichen die Anklage.

Das Opfer ist wegen fortgeschrittener Gedächtnisstörungen zu einer verwertbaren Aussage nicht in der Lage, und die Anzeigende Viktoria I., 56, die als Tochter des Opfers und Lebensgefährtin des Täters das Verfahren ins Rollen brachte, nahm jetzt ihre Anschuldigungen zurück: Es sei ein Missverständnis gewesen.

Laut Anklage trug der Angeklagte die alte Dame, die aus ihrem Bett gefallen war, ins Bett zurück, wobei das Nachthemd der Frau hochrutschte. Der Angeklagte schloss die Schlafzimmertür und kniete sich dann nackt zwischen die Beine von Anna W., rieb sein Geschlechtsteil an der Scheide der Frau und wollte "mit ihr schlafen", wie er es ausdrückt, was aber mangels Erektion nicht klappte.

Im Prozess wiederholt der Angeklagte die schon gegenüber der Polizei gegebene Schilderung des Geschehens, behauptet aber, sein Opfer sei nicht wehrlos gewesen. Anna W. zerkratzte dem Mann die Arme. Die Tochter Viktoria I., die den Angeklagten um Hilfe gebeten hatte, wunderte sich, dass das Ins-Bett-Bringen ihrer Mutter so lange dauerte und fand im Zimmer ihrer Mutter ihren nackten Freund zwischen den Beinen ihrer Mutter kniend vor. Als ihre Mutter später weinend zu ihr sagte: "Er hat versucht, mich zu vergewaltigen, das kann ich nie mehr vergessen", schaltete Viktoria I. die Polizei ein, die den Angeklagten festnahm.

Schon kurze Zeit später bereute Viktoria I. offensichtlich ihre Anzeige: Sie schrieb dem Angeklagten einen Liebesbrief und nahm nach der Versöhnung die Anzeige zurück. Doch dafür war es zu spät, denn bei einem derart schwerwiegenden Tatvorwurf wird von Amts wegen ermittelt. Zudem hatte der Angeklagte bereits beim ersten Verhör alles zugegeben. Viktoria I., die sich mühsam mithilfe eines Gehwagens in den Gerichtssaal schleppt - sie ist schwer asthmakrank und leidet unter einer Beinbehinderung -, behauptet in der Gerichtsverhandlung, bei ihrer polizeilichen Vernehmung habe sie unter Einwirkung starker Medikamente gestanden und könne sich kaum daran erinnern. Es sei wohl alles ein großer Irrtum, ihr Lebensgefährte habe ihre Mutter nur zugedeckt und ihr ein Küsschen gegeben.

Richter Reinhard Leendertz versucht, das Opfer selbst zu vernehmen, aber außer dem wie auswendig gelernten Satz: "Er wollte mich nur zudecken", ist aus der an Demenz leidenden Frau, nichts herauszukriegen.

Wegen sexueller Nötigung wird Wolfgang W. zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Das Gericht blieb am unteren Strafrahmen, weil der Angeklagte nicht vorbestraft ist und die Tat anscheinend keine nachhaltigen Folgen für das Opfer hatte. Anna W. bezeichnete Wolfgang W. vor Gericht als Freund. Das harmonische Zusammenleben zwischen W. und den beiden Frauen wurde nach dem Vorfall, den Viktoria I., so der Richter, "nicht mehr wahrhaben will", fortgesetzt.