Die Ernte 2010 fällt in Schleswig-Holstein nicht gut aus. Clevere Landwirte machen aber Gewinne, weil anderswo noch weniger geerntet wird

Norderstedt. Auf der einen Seite des Tisches der gestandene Landwirt: Jens-Walter Bohnenkamp, 52, ist mit allen Wassern gewaschen, er hat manche Höhen und Tiefen in seinem Beruf erlebt. Ihm macht so leicht keiner etwas vor. Auf der anderen Seite des Tisches Verena Radek, 31. Eine aparte junge Frau mit dunklen Haaren und leuchtenden Augen. Ein ungleiches Paar sitzt hier am Verhandlungstisch: Der gewiefte Landwirt und die clevere Agrar-Ingenieurin. Aber beide sind Gesprächspartner auf Augenhöhe: Sie macht ihm im Namen der Hauptgenossenschaft Nord AG aus Kiel, dem schleswig-holsteinischen Landhändler, Angebote, die ihn nachdenklich stimmen. Verena Radek bietet für Raps, der noch gar nicht gepflanzt ist: Die Preise gelten für 2011. Wenn Jens-Walter Bohnenkamp will, kann er die Ernte des kommenden Jahres jetzt schon verkaufen. Auch andere Getreidesorten.

Als mittelständischer Unternehmer muss Bauer Bohnenkamp Weitblick haben. Das Internet, die Fachpresse und Gespräche mit Fachleuten helfen dabei: Lohnt es sich jetzt schon auf Verdacht die Ernte 2011 zu verkaufen, obwohl die Rapsernte 2010 noch gar nicht eingebracht ist? Er zögert, Verena Radek wartet. "Ich spreche nachher noch mit meiner Frau darüber", sagt er schließlich, gibt aber zu erkennen, dass er zumindest interessiert ist, einen Teil der künftigen Ernte zu verkaufen und so auf Nummer sicher zu gehen. Die Agrar-Ingenieurin ist zufrieden. Beide spielen mit dem Risiko, der Landwirt und der Fachhandel.

Jens-Walter Bohnenkamp, der auf seinem Hof am Rantzauer Forstweg Schweine züchtet und Ackerbau betreibt, hat gemischte Erfahrungen mit dem Verkauf der Ernte gemacht. 2009 hatte er bereits am 20. Juni die komplette Ernte für elf Euro pro Doppelzentner verkauft. Eine kluge unternehmerische Entscheidung: Während der Ernte verfiel der Preis auf acht Euro pro Doppelzentner. Jens-Walter Bohnenkamp hatte gewonnen. 2010 wollte er das Spiel wiederholen: Er verkaufte seinen Roggen im Juni und Juli für bis zu 12,50 Euro pro Doppelzentner. Heute liegt der Preis bei 16 Euro. Der Landwirt fährt einen Verlust ein.

Der Ursache für den Preisanstieg war nicht unbedingt vorauszusehen: Die Bauern in Russland, der Ukraine und Frankreich haben Ernteausfälle, weil es zu trocken war. Auch in Schleswig-Holstein sind Trockenheitsschäden aufgetreten. Der lange Winter hat dem Getreide nicht geschadet.

Aber es zeigt sich deutlich, dass Landwirtschaft ein globales Ereignis ist, bei dem langfristige Wetterprognosen wichtig sind. "Irgendwo auf der Welt wird immer geerntet", sagt Jens-Walter Bohnenkamp. "Bei der Preisentwicklung spielen viele Faktoren mit." Er und seine Berufskollegen müssen genau kalkulieren und abwägen, welche Risiken und Sicherheiten sie eingehen wollen. Der erfahrene Landwirt Bohnenkamp weiß ganz genau, wie der Hase läuft: "Ich muss zu den 25 Prozent Besten gehören, um Gewinne einzufahren." Klappt es nicht, muss er für Zusatzeinkommen sorgen oder den Betrieb umstrukturieren - sowie es unzählige Bauern in Schleswig-Holstein schon gemacht haben.

Wie fällt die Ernte 2010 tatsächlich aus? Die geschlossene Schneedecke im Winter hat die Saat weitgehend vor dem Frost geschützt, das Frühjahr war kalt und brachte insgesamt zu wenig Niederschlag, die plötzlich hohen Temperaturen waren Stress pur für die Pflanzen: Es wird kein besonders ertragreiches Jahr. Sicher ist: Der Mais mickert vor sich hin. Wenn sich Jens-Walter Bohnenkamp ins Maisfeld stellt, reichen ihm die Pflanzen gerade mal bis zur Hüfte; eigentlich müssten die Pflanzen so groß sein wie er selbst. Hier erwartet die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein die größten Einbußen: 30 Prozent weniger als im vergangenen Jahr. Damit liegt das Bundesland immer noch gut im Vergleich zum übrigen Deutschland. Dort sind die Verluste teilweise wesentlich höher.

Isa-Maria Kuhn, Sprecherin der Landwirtschaftskammer, warnt vor einem "kollektiven Jammern" der Landwirte. "Natürlich fällt die Ernte 2010 schlechter aus, aber die Lage ist keineswegs existenzgefährdend." Schleswig-Holstein stehe noch gut da, weil es hier hervorragende Standorte mit durchweg ausgezeichneten Böden gebe. "Wir sind bundesweit eine Top-Region in der Landwirtschaft." Die genauen Erntedaten gibt die Landwirtschaftskammer erst Ende August bekannt.