Obwohl vieles für die Täterschaft des Angeklagten spricht, wird der 19-Jährige überraschenderweise vom Jugendschöffengericht freigesprochen

Bad Segeberg. Das hätte niemand gedacht, am allerwenigsten wahrscheinlich der Angeklagte selbst: Deniz K. (19) aus Eggershorst, der nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Ende Januar dieses Jahres einen Raubüberfall auf ein Café an der Hamburger Straße in Bad Segeberg verübte, verlässt als freier Mann den Gerichtssaal des Jugendschöffengerichts in Bad Segeberg.

Der Staatsanwalt hatte für den jungen Mann, der seit drei Monaten in der JVA Neumünster einsitzt, eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung beantragt, Richter Wolfgang Niehaus und die beiden Schöffen haben Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten, der die Tat von Anfang an bestritt, und sprachen ihn deshalb in einer siebenstündigen Gerichtsverhandlung frei. "Das Risiko, einen Unschuldigen zu verurteilen, wollen wir nicht eingehen", begründet der Richter das überraschende Urteil.

Der Angeklagte wurde seit seinem 15. Lebensjahr immer wieder straffällig, meistens waren es Körperverletzungsdelikte, die den durchtrainierten hochgewachsenen Mann mit dem Gesetz in Konflikt brachten. Ein Raubüberfall passt eigentlich nicht so recht ins Bild. Deniz K. lenkte selbst den Verdacht der Ermittlungsbehörden auf seine Person: Wenige Tage, nachdem ein mit Sturmhaube maskierter Mann das Café in Bad Segeberg überfallen und die Verkäuferin mit einer Pistole bedroht hatte, erzählte er im Freundeskreis, er sei der Räuber gewesen.

An jenem Sonnabendmorgen sei er auf dem Rückweg aus einer Diskothek an dem Café vorbeigekommen, habe sich aus seiner in der Nähe liegenden Wohnung die Waffe und die Maske geholt und dann gegen 5.30 Uhr das Café gestürmt. Die Verkäuferin sei beim Anblick der Waffe schreiend geflüchtet. Er habe versucht, die Kasse wegzutragen, sie sei aber mit einem Elektrokabel an eine Steckdose angeschlossen gewesen und heruntergefallen. Ohne Beute sei er schließlich geflüchtet.

Gegenüber der Polizei behauptet der Angeklagte, er sei lediglich Zeuge des Überfalls gewesen: Auf dem Nachhauseweg aus einer Diskothek habe er einen merkwürdig vermummten Mann gesehen, sei diesem aus Neugier gefolgt und habe versteckt hinter einem Stromkasten die Vorfälle beobachtet.

In der Wohnung des Deniz K. findet die Polizei eine Schreckschuss- und eine Luftdruckpistole. Waffen, die man käuflich erwerben und besitzen, aber nicht mit sich führen darf.

K. wurde wegen versuchten Raubes angeklagt und präsentiert dem Gericht dieselbe Geschichte wie zuvor der Polizei, nämlich dass er lediglich Zeuge des Überfalls gewesen sei. Es war eine Zeit, in der sich in Bad Segeberg die Zahl der Raubüberfälle auf Geschäfte häufte und man viel darüber sprach. Der Angeklagte wollte angeblich angeben und besonders "cool" vor seinen Freunden dastehen, wie er sagt.

Nach stundenlanger Vernehmung einiger junger Leute aus dem Umfeld des Angeklagten, der ermittelnden Polizisten und des Café-Personals hat sich für den Staatsanwalt der Tatvorwurf bestätigt: Der Angeklagte erzählte nämlich in seinem Bekanntenkreis so detailreich von dem Überfallgeschehen, wie es nur der Täter selbst wissen kann. Zum Beispiel hatten einige Zeitungen berichtet, der Täter habe eine geringe Geldmenge erbeutet, was wegen des Malheurs mit der Kasse in Wirklichkeit nicht der Fall war. Aus der Zeitung konnte Deniz K. sein Wissen also nicht haben. Auch dass er das Magazin der Waffe zu Hause vergessen hatte, passt ins Bild, denn eine Polizeibeamtin, die den Flüchtenden verfolgen wollte, berichtete, der Täter habe die Waffe auf ihren Wagen gehalten und abgedrückt, ohne dass etwas passiert sei.

Richter Wolfgang Niehaus und die Schöffen meinen dagegen, der Angeklagte habe tatsächlich von seinem Versteck aus unter Umständen alle geschilderten Details so genau beobachten können. Es sei allerdings nicht nachzuvollziehen, warum der Angeklagte nicht die Polizei rief. Ebenso wenig sei zu verstehen, dass sich der Angeklagte selbst so einer Tat bezichtigt habe, wo er gerade einen Schulabschluss erworben habe und zumindest aushilfsweise arbeite.

Da für das Gericht sowohl die Argumente der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung schlüssig sind, muss nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" entschieden werden. Der Raubüberfall, der zwar geringen materiellen Schaden verursachte, aber eine traumatisierte Bäckereiverkäuferin hinterlässt, bleibt ungesühnt.

Eine zweite Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung - der Angeklagte hatte in einer Diskothek einem anderen Mann mit einer Bierflasche mehrmals ins Gesicht geschlagen - wurde im Prozess angesichts der Schwere der vorgeworfenen Raubtat eingestellt, sodass im Ergebnis beide Anklagen in sich zusammenfielen.

Während der Angeklagte vor Erleichterung tränenüberströmt den Gerichtssaal verlässt, fahren die Justizbeamten der JVA ungläubig kopfschüttelnd mit ihrem leeren Gefängnistransporter zurück nach Neumünster.