Eine Glosse von Harry Grunwald

Was ist nur mit meinem Ex-Kollegen Herbert los? Seit dem Tag, an dem er in den Ruhestand gegangen ist, wirkt er nur noch hektisch und nervös. In der Fußgängerzone hätte er mich neulich fast umgerannt. "Keine Zeit, bin Rentner", keuchte er, gönnte mir dann aber doch fünf Minuten für einen Klönschnack. Er sei ständig im Stress: "Mein Terminkalender läuft über, schlimmer als früher im Job." Dann zählte er auszugsweise seine Aktivitäten auf: Englischkursus bei der Volkshochschule, Schachverein, alle zwei Wochen Skatabend, der Garten, die Enkelkinder, der Hund, Fitnessstudio - "ganz wichtig in unserem Alter, solltest du auch machen", sagte er mit erhobenem Zeigefinger -, die vielen Bücher, Theaterabonnement. "Und verheiratet bin ich schließlich auch, irgendwann muss ich noch Zeit für meine Frau abknapsen."

Ich schaute Herbert prüfend von der Seite an: "Und wann bist du eigentlich Rentner? Ich meine, so ganz ohne Verpflichtungen und Termine, auch mal mit dem einen oder anderen langweiligen Tag? Dafür ist der Ruhestand doch eigentlich da." Doch Herbert schüttelte energisch den Kopf. "Wer rastet, der rostet, dieser Spruch gilt heute wie früher, auch für dich!", ermahnte er mich. Irgendwie scheint er das Sprichwort falsch verstanden zu haben. Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn und würde ihm gern zu mehr Gelassenheit verhelfen. Vielleicht über das Internet? Dort findet man zwar viel Unsinn, aber auch nützliche Tipps. Wenn ich dort ein Trainingsprogramm gegen Rentner-Stress entdecke, werde ich Herbert den entsprechenden Link schicken.