Bundesverwaltungsgericht stellt klar: Der Zwang, einen Radweg benutzen zu müssen, ist oft unzulässig. Gefahrenlage muss nachgewiesen werden.

Norderstedt. Rolf Jungbluth "sattelt" sein Fahrrad, stülpt sich die neongelbe Signalweste über, setzt den stabilen Helm auf und rollt auf die Straße. Seite an Seite mit Autos und Lastwagen hält er an der Ampel, bei Grün überquert er die Kreuzung zur Ulzburger Straße. Jungbluth nimmt bewusst auf diese Weise am Straßenverkehr teil, weil er dazu das Recht hat - und weil er ein Vorbild sein möchte.

Der Rentner ist Mitglied im Norderstedter Ortsverein des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Diese Interessenvertretung ist mit ihrer Klage verantwortlich dafür, dass das Bundesverwaltungsgericht 2010 ein wegweisendes Urteil sprach.

Darin hieß es: "Eine Radwegebenutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt."

Schon ab 1. Oktober 1998 hatte eine Novelle der Straßenverkehrsordnung bewirkt, dass Radfahrer innerorts überall dort auf die Fahrbahn dürfen, wo die Straßenverkehrsbehörde kein blaues Hinweisschild aufgestellt hat.

Das Bundesverwaltungsgericht "verschärfte" diese Gesetzlage. Der Zwang, einen Radweg benutzen zu müssen, sei eine nicht zulässige Verkehrsbeschränkung. Die Polizei muss also nachweisen, dass eine besondere Gefahrenlage vorliegt, bevor das blaue Schild mit einem weißen Fahrrad als Vorgabe installiert werden darf.

Seitdem gibt es Dutzende von erfolgreichen Widersprüchen gegen bestehende Benutzungspflichten. Parallel haben die Ämter begonnen, die Straßenzüge zu überprüfen. "Wenn sich keiner rührt, dann tut sich auch nichts", sagt Rolf Jungbluth. "Jeder Bürger kann Widerspruch einlegen gegen eine Benutzungspflicht."

+++ Der ADFC veranstaltet am 20. April eine Inforadtour +++

Im Bereich der Ochsenzoller Straße ab Achternfelde gelang dies beispielsweise dem Norderstedter ADFC. Allerdings gibt es hier Zweifel an der Praktikabilität. Kai Hädicke-Schories, Verkehrsbeauftragter der Polizei: "Wir beobachten täglich, dass die meisten Radler weiterhin auf den engen Gehwegen fahren. Und wir sehen, dass sie die Fußgänger nicht wesentlich behindern."

Hintergrund ist, dass die Ochsenzoller Straße aufgrund ihrer Begebenheiten - enge Fahrbahn, viele Kurven, Schlaglöcher - für Gelegenheitsradler heikel erscheint. Ein Schutzstreifen wie im Alten Kirchweg ist aus baulichen Gründen keine Alternative.

Benutzungspflichten bestehen weiterhin auf Hauptverkehrsstraßen, wo allein schon der gesunde Menschenverstand gegen ein Radeln inmitten der Autos spricht oder wo komfortable Radwege existieren. Die Ulzburger Straße südlich der Rathausallee und die B 432 in Norderstedt gehören dazu; in Henstedt-Ulzburg die Hamburger Straße; in Kaltenkirchen die Hamburger Straße, der Kisdorfer Weg und der Flottkamp.

Heute beginnen Umbauarbeiten in Kaltenkirchen

In Kaltenkirchen finden vom heutigen Freitag an Umbauarbeiten statt, die dem Wegfall der Radwegebenutzungspflicht geschuldet sind. So ist die Holstenstraße bis einschließlich Sonntag, 15. April, zwischen der Brauerstraße und dem Rathausgarten für den Straßenverkehr gesperrt. Dort wird die Fahrbahn künftig auch für den Radfahrverkehr entgegen der Einbahnstraße freigegeben sein - somit dürfen die künftigen Sonderwege für Fußgänger nicht mehr befahren werden. Ausgenommen sind Kinder unter elf Jahren.

In der Holstenstraße werden die Pflasterkissen baulich angepasst, zudem dort sowie in der Königstraße, Am Markt und in der Schützenstraße Piktogramm auf die Fahrbahn markiert. In der nächsten Woche erfolgt die neue Beschilderung, die jedoch keine Sperrung erfordert.

Radfahrern, die ihrer neuen Freiheit mit Skepsis begegnen, rät Rolf Jungbluth: "Es kann auch etwas Mut dabei sein, aber eigentlich ist es eine Frage der Gewohnheit." So müsse man sich auf der Fahrbahn selbstbewusst verhalten und "schön breit machen". Jungbluth sieht sich auf Augenhöhe mit allen anderen Verkehrsteilnehmern und ist nicht müde, seine Botschaft zu verbreiten: "Ich habe seit sechs Jahren kein Auto mehr und es keinen Tag lang bereut."