Die 54-jährige Britta Bayer betreibt das Blütenwerk am Norderstedter Rathaus und hat sich dort ihre eigene kleine, kreative Welt erschaffen.

Norderstedt. Perfektion? Das wäre doch langweilig. Britta Bayer liebt ihr kreatives Durcheinander, sie möchte gestalten, jeden Tag eine neue Idee verwirklichen. Keiner ihrer Schätze symbolisiert dies wohl so sehr wie der steinerne Engel mit seinem angebrochenen linken Flügel, der jeden Kunden im Blütenwerk begrüßt. Das geerdete göttliche Wesen hält ein kleines Herz in seiner Kusshand. Fliegen kann es nicht mehr, aber sein Makel macht den Engel eben einzigartig.

Auch das Leben von Britta Bayer ist nicht nach einem klaren Muster - beispielsweise Schule, Ausbildung, Kind, Karriere - verlaufen. Wer sich mit ihr unterhält, nimmt teil an einem Stück Norderstedter Geschichte. Die heute 54-Jährige war mittendrin in der unangepassten Norderstedter Kunst- und Kulturszene. Einerseits selbst als Malerin, aber insbesondere im Kuckucksei. Dort arbeitete Bayer im Service und war Geschäftsführerin bis Juli 1997. Eng befreundet ist sie seitdem mit Rajas Thiele - damals ebenfalls Geschäftsführer der Kneipe an der Ulzburger Straße und Sänger einer Punk-Band, heute Geschäftsführer der "TriBühne", verantwortlich für das unlängst eröffnete Kulturwerk und folglich eine der zentralen Persönlichkeiten der hiesigen Kulturlandschaft.

Ein gemeinsames Foto mit Thiele hängt heute an der Wand im Blütenwerk. Es zeugt von dem Neuanfang, den Britta Bayer vor zwei Jahren dort unternahm. Damals mussten die Räumlichkeiten der gescheiterten Coyote-Bar neu belebt werden - das Meilenstein wurde geboren. Zu diesem zählten Das kleine Restaurant, das Bargespräch - und? Thiele fragte seine Weggefährtin einmal, ob sie ein Bistro leiten möge. Bayer wurde nicht warm mit dem Vorschlag. Beim zweiten Versuch bot er ihr das Blumengeschäft an - vergebens.

Auf Märkten hatte sie ihren Stand und verkaufte Trockenblumen

Doch als die damalige Inhaberin nach kurzer Zeit aufgab, ließ sich Britta Bayer überreden. Am 18. Oktober 2010 bezog sie den Laden - das Blütenwerk war geboren. Bayer legte ad hoc los und musste sich als Autodidaktin bewähren. "Ich musste mir alles selber à la minute beibringen, habe quasi von einem Tag auf den anderen angefangen. Wir haben am Sonnabend die Schlüssel bekommen und am Sonntag sind wir eingezogen", erinnert sie sich.

"Ich hätte nie gedacht, dass hier gleich so viel los ist. Ich fing kurz vor dem Weihnachtsgeschäft an, das war schon heftig." Insbesondere, weil Britta Bayer zuvor 13 Jahre lang einen anderen Rhythmus gelebt hatte. Auf Wochen- und Kunsthandwerkermärkten hatte sie ihren Stand und verkaufte bei Wind und Wetter Trockenblumen, Heukränze, Seidenblumen und "Tüddelkram", wie sie sagt.

Zwei Jahre später. Es wird heller, wärmer, die Menschen sehnen sich nach bunten, positiven Impressionen. Britta Bayer und ihre Tochter Franziska, 23, wuseln durch das Blütenwerk, sortieren hier und richten dort etwas zurecht.

Allerdings sind Blumen auch eine Frage der Geduld. Manch eine Kundin überlegt sich die Auswahl der Rosen penibelst. "Ein Strauß für 20 Euro bitte", sagt eine Frau. "Ach, machen Sie doch einfach den Strauß fertig, den sie gerade in der Hand haben."

Eine andere Dame verliert sich in den urigen Deko-Artikeln und den handgemachten Blumenarrangements. "Es ist so schön hier, ich könnte stundenlang weiter gucken." Die Bestellung einer jungen Frau für die nächste Woche ist vielsagend. "Fünf rote Rosen sollen es sein; der Strauß soll romantisch-verliebt aussehen."

Doch wie kreiert man eigentlich ein ansehnliches Bouquet? Vor sich ausgebreitet hat Britta Bayer auf dem Tisch mehrere Dutzend "Zutaten". Zweige von getrocknetem Euphorbium gehören dazu, sie bilden gemeinsam mit dem Drahtstrauchgewächs Mühlenbeckia die Grundlage. Zur Stabilisierung wird ein grüner Draht herumgeknotet, dann wächst der Strauß um Lentisco, Schleierkraut, Limonium und Asparagus. Doch das Herz bilden die Rosen in verschiedenen Farben. Sie heißen "High Society" oder "Duett", sie sind rot, orange, pink, weiß oder gelb. Der Schöpfung sind hier keine Grenzen gesetzt. Abgerundet wird die Komposition mit Blütenähren der Veronika und etwas Korallenfarn.

Im Sommer ist sie in der Natur unterwegs und sucht nach Pflanzen

"Das Blumenpflücken war eigentlich meine einzige Schule. Deswegen sind meine Sträuße auch alle ein bisschen wild. Das finde ich so schön", sagt Britta Bayer. Im Sommer, ungefähr ab Mai, braucht sie Zeit für die Fortbildung, ist in der freien Natur unterwegs und sucht nach Pflanzen - Flachs, Pastinaken, Unkraut - die sie kunstvoll in ihre Gestecke integrieren kann. Spontan hat sie eine Idee, die aus ihr heraussprudelt. "Ein Treibholz mit einer einzelnen Rose darauf, dazu rostiger Stacheldraht. Aber ich komme dazu einfach zu selten."

Der Grund ist naheliegend. "24/7", also durchgehend, kümmert sie sich um das Blütenwerk, nimmt Bestellungen an, regelt den Einkauf, bereitet Gestecke für den nächsten Tag vor. Zu ihren Auftraggebern zählen zahlreiche Norderstedter Firmen oder die "TriBühne" - auch die Eröffnungsveranstaltung im Kulturwerk schmückte sie. "Nur auf den Großmarkt fahre ich nicht mehr. Sonst müsste ich ja um 4 Uhr los. Es sind so schon Tage mit 16 bis 18 Stunden. Wenn jemand noch den Haushalt macht, ist es meine Tochter. Ich bin ja quasi schon ausgezogen."

Es ist das Los der Selbstständigkeit. Aber ein schönes, wie Britta Bayer sagt. "Jeder, der seinen Beruf liebt, macht das automatisch." Feierabend ist also, wenn sie sich danach fühlt, die Arbeit eine Nacht lang liegen lassen zu können. "Es ist für mich ein Genuss, vor mir hinbasteln zu können." Gerne legt sie dann Hörbücher ein - meistens Krimis. "Lesen würde ich die nie, auch nicht im Fernsehen gucken. Aber Hörgeschichten gehen auch nachts, sogar eklige Geschichten aus der Pathologie."

Apropos Geschichten. Britta Bayer könnte wohl zu jedem der zahlreichen Erbstücke im Laden etwas Persönliches erzählen. So wie zu den zwei langen Holzlatten, die neben der Tür zum Bargespräch an der Wand lehnen. "Mit diesen Ski war meine Tante Ria in den 20er-Jahren auf dem Großglockner", sagt sie. An allen Ecken und Enden liegen Accessoires, die vielleicht einmal zum Einsatz kommen könnten. "Ich kaufe Schnäppchen und Kleinkram aus dem Zwecke, dass ich diese dann verändere und neu verkaufe." Aber, so relativiert Britta Bayer mit einem Schmunzeln: "Ich habe mittlerweile gelernt, dass man auch etwas wegwerfen kann."

Aber mit Sicherheit nicht ihren Engel. Dieses Schmuckstück wird weiter über Britta Bayer und ihre eigene kleine Welt im Blütenwerk wachen. "Ich habe bestimmt schon 100 Bestellungen bekommen. Aber den gebe ich nie mehr her - egal, was jemand bieten sollte."