Starre Augen. Die Dornen bohren sich tief in die Seele. Schmerzen. Mit den Dornen im Haar soll er lächerlich wirken. Spotten sollen sie über ihn. Die Sonne konnte nicht mehr scheinen bei diesem Anblick.

Gefangen hat man ihn wie einen Dieb. Verurteilt wurde er von einem hohen Gericht, das Lügen gegen ihn suchte, um ihn einer Schuld zu überführen. Verleugnet und verraten haben ihn seine treuesten Freunde. Aus Angst? Aus Verzweiflung? Verleugnet, eine Nacht lang, bis die Sonne wieder aufging und der Hahnenschrei das Herz durchbohrte. Verkauft für einen lächerlichen Betrag. Was sie wohl mit diesem Geld danach noch anfangen wollten.

Und er? Er hat all' dieses gewusst. Konnte er auch ein Ja dazu finden? Damals in Gethsemane? Geschrien hat er, dass seine Seele betrübt war bis in den Tod. Das können wir kaum nachempfinden. Oder doch, so eine kleine Ahnung vielleicht? Er wollte, dass der Wille des Vaters geschehe. So hat er es jedenfalls gesagt. Und der Vater? Er war wohl der Einzige, der ihn nicht verlassen hat. Er wollte es bestimmt nicht so. Dass man sein Kind so entstellt, dass man es verspottet und verlacht und am Ende kreuzigt mit einer Dornenkrone. Er, der Schöpfer des Lebens, sieht dem Tod ins Gesicht.

Blasse Wangen. Der Tod hat ihn entstellt und dahingerafft.

Das kann kein Vater wollen. Aber wenn die Menschen nichts anderes glauben wollen? Wenn sie denken, dass sie bis zum Äußersten gehen müssen. Dann soll sein Sohn den äußersten Tod sterben. Dann soll er den Tod der ganzen Welt erleiden. Dann gehört sein Kreuz in unsere Welt. Dann soll es auch das größte Kreuz sein. Und jeder soll es anschauen. Und jeder soll diesen Blick ertragen. Himmelsfinsternis und Gottverlassenheit am Kreuz von Golgatha.

Und wir? Wie kommen wir damit zurecht? "Kreuzige ihn, Kreuzige ihn." So hat es die Menge geschrien. Weil es nicht sein kann, dass man die Welt verdreht, so wie er: Blinde sehen. Lahme gehen. Was arm ist, wird reich.

Das kann kein Menschenherz verstehen. Deshalb haben sie geschrien. Deshalb schreien wir bis heute. Unsere Schuld hängt dort am Kreuz, weil wir seine Nähe nicht ertragen konnten. Diese Nähe, die so bedingungslos ist. Können wir es wagen, einen Schritt näher an das Kreuz heran? Halten wir es aus? Wir bitten Christus: Rechne uns unsere Schuld und Scham nicht an. Du Haupt voll Blut und Wunden. Wir wollen hier bei dir stehen. Du leidest für uns die Qual. Du schmeckst den Tod. Dein Herz bricht für unsere Herzen entzwei. Wir können dein Leiden und Sterben nicht verstehen. Da gibt es wohl auch nichts zu verstehen.

Und doch, könnte es nicht sein, dass all' das einen Sinn hat? Die Lügen, der Verrat an ihm? Wie kann das sein, dass mir dein Kreuz zum Leben hilft? Vielleicht, dass meine eigenen Verletzungen durch deine Schmerzen genesen. Dass Du, Jesus Christus, wahrer Mensch und Bruder uns aufblicken lässt zum Vater, zu deinem Vater, freilich, aber auch zu unserem Vater. Wir Menschen schauen immer von Gott weg. Wir suchen ihn im Licht, das immer kälter und schärfer wird, oben. Und Gott wartet anderswo. Wartet ganz am Grund von Allem. Tief. Wo die Wurzeln sind. Wo es warm ist und dunkel.

Ich wünsche Ihnen eine solche Begegnung!

Antje M. Mell ist Pastorin der Kirchengemeinde Harksheide