Im Abendblatt-Interview spricht FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki über Wahlchancen und Fehleranalysen

Norderstedt/Kiel. Mit der Ankündigung, Finanzminister Schleswig-Holsteins werden zu wollen, hat FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki am Wochenende nicht nur Parteifreunde überrascht. Rechnen doch viele Wähler nicht einmal damit, dass die Liberalen bei der Landtagswahl die Fünf-Prozent-Hürde nehmen werden. Warum er die Chancen seiner Partei besser bewertet, erläutert Kubicki im Interview mit den Abendblatt-Redakteuren Matthias Popien und Ralph Klingel-Domdey.

Hamburger Abendblatt:

Herr Kubicki, erinnern Sie sich an den Mai 1988?

Wolfgang Kubicki:

Wenn Sie mir ein Stichwort geben...

Da gab es eine Landtagswahl in Schleswig-Holstein.

Kubicki:

Richtig, da ist die FDP aus dem Parlament gefallen. Daran erinnere ich mich noch, weil das die Nach-Barschel-Wahl war.

Damals hat die FDP 4,4 Prozent bekommen. Jetzt liegt sie in Umfragen bei zwei oder drei Prozent. Ist die Ausgangslage für die bevorstehende Landtagswahl so schlecht wie noch nie?

Kubicki:

Das sehe ich nicht so. Die FDP war seitdem bei jeder Landtagswahl mit der Verheißung versehen, wir würden nicht wieder ins Parlament kommen. Jedes Mal haben wir dazugelegt. Ich bin da kampferprobt und völlig relaxt.

Meinungsumfragen schocken Sie nicht?

Kubicki:

Meinungsumfragen schocken mich gegenwärtig gar nicht, weil alle Meinungsumfragen ausweisen, dass 50 Prozent der Schleswig-Holsteiner noch gar nicht wissen, dass Landtagswahl ist. Erst wenn die Leute die Plakate draußen sehen, orientieren sie sich auch an landespolitischen Themen und nicht am Bund. Momentan ist alles überlagert vom Bundestrend.

Die FDP hat gerade selbst eine Umfrage zu Schleswig-Holstein veröffentlicht.

Kubicki:

Das waren nicht wir, das war die Bundes-FDP. Da lagen wir bei vier Prozent. Das reicht mir nicht. Wir haben im November 2011 eine Felduntersuchung machen lassen. Mich interessierte die Frage: Wo sind die Wähler eigentlich hin, die uns im September 2009 gewählt haben?

Und wo sind sie hin?

Kubicki

(lächelt): 75 Prozent dieser Wähler können wir mit einem ordentlichen Personalangebot und einem inhaltlichen Angebot noch erreichen.

Nennen Sie uns bitte drei gute Gründe, warum die Bürger am 6. Mai FDP wählen sollen.

Kubicki:

Die FDP hat maßgeblichen Anteil daran, dass es in Schleswig-Holstein eine Schuldenbremse gibt und diese auch eingehalten wird. Zweitens gibt es keine andere Partei, die so stark auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit setzt. Sparen allein hilft uns nicht weiter. Drittens zeigen wir, dass es eine wirkliche Versöhnung zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und einem vernünftigen Leben geben kann. Ich bin vor fast anderthalb Jahren Großvater geworden. Ich möchte, dass mein Enkelkind in Schleswig-Holstein aufwachsen kann, hier eine vernünftige Ausbildung erhält und eine eigene Existenz aufbauen kann.

Sie haben eben den Bundestrend für die schlechten Umfragewerte verantwortlich gemacht. Hat die FDP Schleswig-Holstein auch selbst etwas falsch gemacht? Haben Sie etwas falsch gemacht?

Kubicki:

Selbstverständlich. Wir haben den Menschen nicht vermitteln können, dass viele der Probleme, die wir jetzt abarbeiten, nicht durch uns entstanden sind. Wir mussten den Menschen Wahrheiten vermitteln, die wehtun. Wir können zum Beispiel die Lehrerstellen, die wir eigentlich nicht mehr brauchen, weil in Zukunft die Zahl der Schüler sinkt, nicht im System belassen. Wir müssen sie streichen, weil wir sonst den Konsolidierungskurs nicht einhalten. Das tut weh. Mir auch. Mein persönlicher Fehler war es, dass ich zugelassen habe, dass wir anstelle des Wirtschaftsministeriums das Sozialministerium übernommen haben. Jetzt haben wir die Situation, dass die FDP ausgerechnet auf dem Feld der Wirtschaft, wo die Wähler ihr am meisten zutrauen, nicht sichtbar ist. Diesen Fehler würde ich heute so nicht wieder machen.

Wir bekommen zum Thema Bildungspolitik von der FDP nur noch Pressemitteilungen von Ihnen oder von Kirstin Funke, der wissenschaftspolitischen Sprecherin ihrer Landtagsfraktion. Will sich der viel kritisierte FDP-Bildungsminister Ekkehard Klug nicht mehr äußern?

Kubicki:

Die Wahrnehmung, dass sich das Bildungsministerium relativ verhalten äußert, teile ich.

War es ein Fehler der FDP, das Bildungsministerium zu besetzen und Herrn Klug zum Minister zu machen?

Kubicki:

Wenn Sie die Frage stellen, ob es ein Fehler ist, Ministerien zu besetzen, bei denen man auch negative Botschaften verkünden muss, dann würde ich sagen: Nein. Man muss schon klar machen können, warum bestimmte Entscheidungen so und nicht anders getroffen werden. Ich finde die öffentliche Kommunikation der Landesregierung insgesamt verbesserungsbedürftig. Das betrifft nicht nur den Kollegen Klug, sondern auch den Finanzminister Rainer Wiegard. Ich würde mir wünschen, dass er nicht immer nur freudig erklärt, dass wir es schaffen, die Schuldenbremse einzuhalten. Er könnte ruhig auch sagen, mit welchen Schritten und mit welchen schmerzhaften Einschnitten das verbunden ist und was das Ziel ist. Nur mit der Schuldenbremse werden wir es schaffen, ein eigenständiges Schleswig-Holstein zu erhalten. Sparen ist kein Kriterium, bei dem man in die Hände klatscht. Man muss schon wissen, was dabei herauskommen soll.

Mittlerweile rufen in der Politik alle nach einem Schulfrieden. Hat Herr Klug Unfrieden gestiftet?

Kubicki:

Ich würde bestreiten, dass jede Verlautbarung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die Schulrealität widerspiegelt. Es gibt immer mehr Eltern, die an ihrem Gymnasien G 9 wollen. Ich finde allerdings, dass die Schulkonferenz vor Ort am besten entscheiden kann, was für ihre Schule gut ist. Warum erlauben wir ihr also nicht, selbst zu wählen, was sie will? Wir müssen gucken, wo wir mit den wenigen Mitteln, die wir haben, die besten Ergebnisse erzielen können.

Wie sollte der Unterrichtsausfall bekämpft werden?

Kubicki:

Wir haben darauf gedrängt, dass ein System eingeführt wird, das den tatsächlichen Unterrichtsausfall und den Krankenstand der Lehrer erfasst. Ich habe mal gefragt, ob es einen Datenpool im Ministerium gibt. Ein Datenpool mit Adressen pensionierter Lehrer oder Referendare, die in Krankheitsfällen als Vertretungslehrer einspringen. Antwort: Nein, gibt es nicht. Wir brauchen aber einen solchen Pool, und am besten wäre es, wenn die Schulen direkt darauf zugreifen könnten.

Das wäre ein Schritt zu mehr Selbstständigkeit.

Kubicki:

Ich bin dafür, dass wir die Schulen so viel wie möglich selbst entscheiden lassen. Wir sollten ihnen ein Budget an die Hand geben, über das sie selbst verfügen können. Ich bin für einheitliche Abschlussprüfungen. Den Schulen wäre es dann selbst überlassen, auf welchem Weg sie ihre Schüler zu diesem Abschluss führen.

Was würde eine rot-grüne Landesregierung für die Wirtschaft in Schleswig-Holstein bedeuten?

Kubicki:

Es käme zu einer dramatischen Verschlechterung der Infrastruktur. Der Slogan der Grünen lautet 'Bildung statt Beton'. Aber wir kriegen mit den Grünen weder Bildung noch Beton, wir kriegen eine Verschlechterung der ökonomischen Situation unseres Landes. Mobilität ist für Menschen und Unternehmen lebensnotwendig.

Was ist mit dem Schienenverkehr?

Kubicki:

Hier in der Metropolregion ist eine bessere Anbindung an Hamburg notwendig. Die S 4 wird gebaut - definitiv. Das Problem im Verhältnis von Hamburg und Schleswig-Holstein ist nach wie vor, dass die Hamburger das Gefühl haben, sie entvölkern sich, wenn sie die Verkehrsverbindungen ins Umland verbessern. Das ist Quatsch.

Im April wird die Metropolregion Hamburg um Lübeck und Teile Mecklenburg-Vorpommerns erweitert. Wird nur Hamburg Gewinner dieses Vorhabens sein, Schleswig-Holstein Verlierer?

Kubicki:

Schleswig-Holstein könnte auch Gewinner sein. Wenn wir lernen, nicht immer in Landesgrenzen zu denken. Nehmen Sie Dodenhof in Kaltenkirchen. Die Diskussion um eine Erweiterung wird von Kiel aus so kleinkariert geführt, dass es mir die Schuhe auszieht. Kaltenkirchen gehört zur Metropolregion Hamburg. Hätten beide Bundesländer eine gemeinsame Landesplanung, wäre die Dodenhof-Erweiterung ein Selbstgänger.

Was würde es für Sie persönlich bedeuten, wenn die Liberalen nicht in den Landtag kommen sollten?

Kubicki:

Die Frage stellt sich für mich nicht, weil ich davon ausgehe, dass die FDP wieder in den Landtag kommt. Und wenn dies wider Erwarten nicht geschehen sollte: Ich stehe morgens auf und fahre in meine Kanzlei.

Aber Ihnen würde doch sicher etwas fehlen?

Kubicki:

Ich glaube, den Menschen würde etwas fehlen. Ich kandidiere ja nicht, um etwas zu werden.

Aber vielleicht, weil Sie Spaß an der Arbeit haben.

Kubicki:

Weil ich etwas bewegen will. Ich glaube, dieses Land hat es auch verdient, dass etwas bewegt wird. Wenn ich durch Deutschland fahre, stelle ich fest, wie sehr Schleswig-Holstein hinterherhinkt. Wir haben hier Straßen, die schlechter aussehen als die Straßen damals in der DDR. Kiel sieht aus wie 20 Jahre zurück. Ich will zeigen, dass in diesem Land ganz viel Kraft steckt. Das war und ist mein Ansatz.

Herr Kubicki, wir danken Ihnen für das Gespräch.