Das Hamburger Abendblatt hat die Lehrerin Silke Hansen begleitet. Die 35-Jährige unterrichtet an der Gemeinschaftsschule Auenland.

Ein bisschen Fernweh schwingt mit, als Silke Hansen ihr verpasstes Leben als Aussteigerin in Erinnerung ruft. "Ich wollte schon immer einmal ins Ausland", erinnert sich die 35 Jahre alte Lehrerin der Gemeinschaftsschule Auenland. Im Jahr 2008 kam dann der Kontakt nach Teneriffa zustande, eine dortige Schule sponserte ihr sogar den Flug auf die Kanarischen Inseln. Silke Hansen sagte zu, sie war beeindruckt. Schule, Sonne, Sandstrand? Für eine Nordfriesin, geboren auf Amrum und ein bekennendes "Inselkind", ein wahrer Traum.

Doch es kam etwas dazwischen. "Zwei Tage später hatte ich die Stelle in Bad Bramstedt. Und die Vernunft hat dann gesiegt, die Verbeamtung ging vor." Silke Hansen blieb in Kiel wohnen, pendelt seitdem jeden Morgen. Und - so viel sei gesagt - sie bereut die Entscheidung nicht.

Sie sputet sich, doch vor 7.47 Uhr kann sie den Biologieraum nicht aufschließen. Um der etwas verschlafenen 10e die Vererbung der Blutgruppen nahezubringen, hat sie sich einen Einstieg mit aktuellem Bezug einfallen lassen. "In Dachau wurden innerhalb von acht Minuten vier Babys geboren und vertauscht. Könnt ihr helfen?" Die Schüler kommen zunächst nicht auf die Lösung. Hansen wartet. "Denkt nicht nur an Äußerlichkeiten!" Dann ruft Lars aus der letzten Reihe: "Die Blutgruppe!" - "Na endlich!"

Lars muss an die Tafel und Keimzellen aufzeichnen - dank sanftem Nachdruck seiner Lehrerin. "Wir helfen dir aber", sagt sie und erinnert an die richtungsweisenden Regeln des Naturforscher Gregor Mendel. "Wir mendeln schon seit Wochen, das ist immer die gleiche Darstellung."

Es ist 8.25 Uhr, die Schüler murmeln. Partnerarbeit. "Am Ende wird es immer hektisch", ahnt Silke Hansen, die zumindest diesen Teil ihres Unterrichts noch abschließen möchte. Dies gelingt auch - die verbleibenden Aufgaben müssen die Schüler zu Hause nachholen.

Die Pädagogin bereitet sich nun auf ihre eigene Klasse, die 5c, vor. Für ihre Schützlinge hat sie das Thema "nominalisierte Verben" vorbereitet. Nicht unwichtig, gerade in Zeiten des Internet, wo die Groß- und Kleinschreibung in Chats nur marginale Bedeutung hat.

"Guuuten Mooorgen Frau Haaansen", erklingt es im Chor. Die Kinder freuen sich, "ihre" Lehrerin zu sehen. Hansen überprüft: Hat jeder seine Hausaufgaben auf dem Tisch? Dazu muss Organisatorisches geklärt werden - Krankmeldungen, unterschriebene Zeugnisse. Um 9.07 Uhr sagt sie: "Jetzt können wir endlich Deutsch machen."

Sie wirft mit dem Overhead-Projektor eine Zeichnung an die Wand: "Jans Traumschulordnung", ein Junge stellt sich seine Wunschschule vor. Nun sollen die Kinder Sätze bilden mit den Tätigkeiten. "Das Schlafen in der Schule ist erlaubt" etwa, und an die Tafel schreiben. "Achtet einmal auf die Rechtschreibung", sagt Silke Hansen, als sie einen Fehler bemerkt.

Bis vergangenen Sommer hatte sie nicht gedacht, selbst eine Klasse zu übernehmen. Doch auf gute Zurede des Rektors sagte sie letztlich zu. "Ich hatte eigentlich ein bisschen Bauchweh dabei. Aber Wolfgang Henkies sagte, das sei etwas für mich. Und er hat das gut eingeschätzt, es ist wirklich eine tolle Klasse." Gerne erinnert sie sich zurück an ihren Geburtstag. "Da standen die Kinder Spalier, haben gesungen, und es gab ein kleines Geschenk."

Doch auch die schönste Stunde nimmt ein Ende. Silke Hansen "darf" in die Kälte, denn sie muss eine Außenaufsicht übernehmen. "Wir haben hier ein kleines Schneeballproblem", sagt sie, während sie den Blick schweifen lässt. Diesmal fliegen indes keine Geschosse, es ist eine ruhige Pause.

Aber nicht für Hansen. Sie ist in Gedanken bereits bei der nächsten Stunde - Philosophie für Sechstklässler. Schwer bepackt mit Tasche, farbiger Pappe und CD-Spieler geht es in einen entfernten Trakt. Erst nach rund fünf Minuten Hatz ist sie am Raum angekommen. Silke Hansen ist allerdings fit - privat läuft sie regelmäßig zehn Kilometer oder mehr. "Ich mache ganz viel Sport im Meridian Spa in Kiel. Dort kann ich mich auspowern." Darüber hinaus ist sie gerne zum Reiten in Otterndorf oder tanzt Salsa. Sie hat längst gelernt, wie wichtig es ist, nicht unablässig an die Schule zu denken. "Natürlich kann man arbeiten ohne Ende. Aber wer nicht abschalten kann, hat langfristig ein Problem."

10.20 Uhr. "Ein Freund, ein guter Freund". Mit diesem Klassiker leitet sie die Stunde ein. "Stellt euch vor, ein Zauberer würde euch einen Freund so zaubern, wie ihr ihn gern möchtet", sagt sie. Die Kinder schreiben nun in Gruppenarbeit positive und negative Eigenschaften auf, die später zu einer Art Collage an der Tafel gesammelt werden.

Es ist eine bunt gemischte Runde, die Mädchen und Jungen kennen sich teilweise kaum, und einige von ihnen haben Probleme, der deutschen Sprache zu folgen. Allerdings entwickelt sich eine Dynamik, wie Silke Hansen erfreut registriert. "Das klappt alles ganz gut, sie diskutieren über die Aufgabe." Als am Ende des Unterrichts gleich 33 Eigenschaften auf dem Schaubild zu sehen sind, ist sie begeistert.

Zurück im Lehrerzimmer bleiben zumindest ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch mit Inga Karstens. Sie gehört zu den acht LiV (Lehrer im Vorbereitungsdienst) an der Gemeinschaftsschule Auenland - Silke Hansen ist ihre Ausbilderin und Mentorin. Regelmäßig gibt es gegenseitige Unterrichtsvisiten, dazu intensiven Austausch, denn Inga Karstens, genauso wie einige Jahre zuvor ihre Mentorin Studentin an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, muss bald ihre Examensstunden bewältigen. Silke Hansen ihrerseits war übrigens Referendarin an der damaligen Realschule Rhen.

Die vierte und letzte Unterrichtsstunde ist ihre schwierigste Prüfung. Deutsch in einer achten Klasse, die "mitten in der Pubertät ist". Sie benötigt ein dickes Fell, denn einige Schüler, obgleich nicht bösartig, lassen den Lärmpegel anschwellen. In diesem Halbjahr beschäftigt sich die Klasse mit dem autobiografischen Roman "Trotzdem hab ich meine Träume". Jeder Achtklässler soll nun an seinem Lesetagebuch, bestehend aus Pflicht- und Wahlaufgaben, weiterarbeiten. Silke Hansen geht durch die Reihen, gibt Anregungen, mahnt hier und da zur Ordnung. Sie muss durchaus strenger auftreten als sonst. "Wenn es angemessen ist, darf eine Lehrerin auch einmal 'böse' sein. Und das verstehen Schüler dann auch", erklärt sie.

Um 12.36 Uhr ist der offizielle Schultag für die Pädagogin beendet. Sie wird sich nun bis in den späten Nachmittag um den folgenden Unterrichtstag kümmern, kopieren, Zettel sortieren und Telefonate führen. Wann Feierabend ist, entscheidet bei ihr letztlich nicht das Schichtende, sondern irgendwann der müde Geist.