Wie sollen wir leben? Das fragen sich Menschen, besonders vielleicht zu Anfang eines neuen Jahres. Jeden Tag steht man vor Entscheidungen. Oder man spürt, dass Kinder, Enkel oder Freunde kleine und große Entscheidungen zu treffen haben. Jeden Tag muss man überlegen: So oder so? Soll ich das tun oder lieber etwas anderes lassen?

Oft spüren wir die Fragen gar nicht so sehr und entscheiden uns schnell, fast unbewusst für dies oder das. Aber manchmal ist es eben auch so, dass Entscheidungen quälen, gar den Schlaf rauben. Oder, was ja auch oft geschieht: Menschen bereuen vergangene Entscheidungen; sie sind uns von Herzen leid. Lieber hätte man dies oder jenes nicht getan. Wie konnten wir nur..., ist dann so ein stiller Satz. Heute würden wir es anders und vielleicht besser machen.

Unsere Tage sind angefüllt mit Erinnerung und Planung. Da wäre es doch eine große Hilfe, eine Art Richtschnur zu haben; ein Geländer, mit dessen Hilfe die eine oder andere Entscheidung leichter fiele. Wie könnte ein Maß aussehen, das uns das Leben und Entscheidungen leichter macht?

Ein Schauspieler wurde einmal gefragt, wie man leben soll, woran man sich halten könne, um klare Entscheidungen zu treffen. Da soll er geantwortet haben: Mach es doch im Leben so wie beim Schauspielern: mit größtmögliche Ehrlichkeit. Ein wunderbarer Rat, nicht nur für Schauspieler. Auch für Menschen, die manchmal nach einem Geländer suchen und möglichst den besten Weg gehen und die beste Entscheidung treffen wollen.

Größtmögliche Ehrlichkeit - ich gebe zu, dass mir das früher nicht so wichtig war. "Es kommt doch nicht so darauf an", habe ich früher häufiger gedacht, als mir heute lieb ist. Oder: "Das merkt ja doch niemand." Aber da habe ich mich geirrt. Und ich glaube, da irren sich alle, die es mit der Ehrlichkeit nicht so genau nehmen und etwas vertuschen wollen. Es kann sein, dass es lange niemand merkt; es kann sogar sein, dass es niemand je merkt. Natürlich merkt es Gott, aber da will ich jetzt gar nicht meinen Zeigefinger erheben. Etwas anderes ist mir wichtig.

Meiner eigenen Seele tut sie nicht gut, die Unehrlichkeit, das Schwindeln, das Verbergen; ich verbiege damit meine Seele. Und das ist nicht nur Sünde, das tut mir auch weh. Ich verliere meine Klarheit, ich verwische meine Persönlichkeit. Ich kenne mich bald nicht mehr richtig. Das kann schlimm werden. Es geht bei der Unehrlichkeit und den Schwindeleien des Alltags gar nicht zuerst um andere, die man hinters Licht führt.

Andere verkraften es vielleicht oder kommen mir auf die Schliche. Nein, es geht zuerst um mich. Ich verbiege mich und meine Seele. Ich füge mir jedes Mal wieder eine kleine Wunde zu, oder eine Delle im Gemüt. Ich mache mich mir unkenntlich. Ich weiß irgendwann nicht mehr genau, wer ich eigentlich bin.

Darum bin ich froh, diesen Rat zu hören: größtmögliche Ehrlichkeit. So schwer das manchmal sein mag - auf lange Sicht hilft es mir. Man setzt auf Ehrlichkeit wie auf das bessere Pferd. Es kann langsamer sein, aber es wird nicht stolpern und schließlich gewinnen. Gewiss aber bringt mich Ehrlichkeit Gott näher.

Pastorin Christina Henke-Weber von der Thomaskirche Glashütte