Archäologen entdeckten auf der Trasse der Autobahn 20 spektakuläre Zeugen der Vergangenheit. Zurzeit werden die Fundstücke ausgewertet.

Kreis Segeberg. Vier Siedlungsplätze im Raum Bad Segeberg: Sie haben zeitlich überhaupt nichts miteinander zu tun. Und dennoch haben sich die Experten vom Archäologischen Landesamt für sie interessiert. Und das hat nur einen einzigen Grund: Die Flächen liegen auf der späteren Trasse der Autobahn 20. Auf schmalen Streifen haben die Archäologen Peter Schemainda, Annette Guldin, Benjamin Irkens und Dr. Ingo Lütjens wissenschaftlich hochinteressante Entdeckungen aus mehreren Zeitaltern gemacht. Wer war besonders erfolgreich und hat den "bedeutendsten" Fund gemacht? "Ich", rufen Guldin und Lütjens in gespielter Rivalität wie aus einem Mund.

Ingo Lütjens, der Leiter der Grabungsteams, hat in Wittenborn das erste komplette Dorf aus der Völkerwanderungszeit (4. bis 6. Jahrhundert n. Chr.) in Schleswig-Holstein freigelegt. Dabei war er mit seinen Helfern auch auf einen Brunnen gestoßen, dessen Holz im Jahr 440 geschlagen wurde. Das ist durch dendrologische Untersuchungen (Zeitbestimmungen) belegt. Bei ihm handelt es sich um den "am besten erhaltenen vorgeschichtlichen Brunnen Schleswig-Holsteins", so der 43-Jährige. Und als i-Tüpfelchen hat er vom Brunnengrund eine fast völlig erhaltene Schale geborgen.

Weit mehr Funde hat allerdings Schemainda gemacht: Am Rande Bad Segebergs ist er auf ein spektakuläres Urnengräberfeld gestoßen, das etwa 600 Jahre genutzt wurde und in dem über 1000 Bestattungen vorgenommen worden sind. Allein die lange Belegungszeit ist in Schleswig-Holstein ohne Beispiel. Zudem wurden dort zahlreiche Grabbeigaben aus Eisen, Bronze und Silber, teilweise aus dem Römischen Reich, gefunden.

Zwar haben die Archäologen ständig die Autobahnbauer "im Nacken" und müssen sehen, dass sie ihre Claims schnellstmöglich untersucht bekommen, bevor die Planierraupen anrücken und alles wieder zuschieben. Dennoch loben sie die gute Kooperation mit den Baubehörden. Fühlen sie sich manchmal nicht wie Wanderarbeiter? "Ja, da ist was dran", sagt die 28-jährige Annette Guldin. Sie mag aber auch die Abwechslung - "denn keine Grabung gleicht der anderen". Lütjens dagegen sagt: "Ich würde lieber in Wittenborn weitergraben als weiterziehen."

Erdwerke boten einer größeren Menschenmenge Schutz

Annette Guldin hat ein Erdwerk aus der Zeit um 3500 v. Chr. gefunden, davon gibt es nur drei in Schleswig-Holstein. Erdwerke sind Bodendenkmale aus Gräben, Palisaden oder Wällen und boten einer größeren Menschenmenge Schutz. Meist liegen sie in exponierter Lage, so wie das von Guldin: in der Nähe vom Klärwerk auf einem Sporn an der Trave. "Hier haben vermutlich die ersten Bauern Schleswig-Holsteins gesiedelt", meint sie. 11 000 Keramikscherben und 20 000 Flintsteinartefakte hat sie mit ihren Helfern dort geborgen, darunter ihr Lieblingsstück, ein 3200 Jahre altes reich verziertes Trichterbechergefäß. Ob das Erdwerk am Fluss besiedelt war, worauf die Menge der Fundstücke schließen lassen könnte, sei unsicher. Annette Guldin: "Es war wohl ein multifunktionaler Platz." Menschen aus umliegenden Siedlungen haben vermutlich dieses Erdwerk gemeinsam errichtet, um dort Versammlungen abzuhalten, um Schutz zu suchen, um Vieh dort zu halten. "Es ist eine tolle Fundstelle", sagt die junge Expertin.

Benjamin Irkens fand eine Kleinsiedlung aus dem frühen Mittelalter

Auch Benjamin Irkens schwärmt von seinem Projekt. Der 30-Jährige war an der Trave bei Högersdorf auf den jüngsten Fundort gestoßen: eine Kleinsiedlung aus dem frühen Mittelalter (9. bis 11. Jahrhundert n. Chr.). Er fand heraus, dass die Menschen damals eine höhere Baukultur aufgewiesen haben als die in Lütjens Wittenborner Dorf. Es wurde moderner und größer gebaut. Die Siedlung war womöglich stets nur von einer Sippe bewohnt - allerdings über viele Jahrhunderte genutzt, denn man stieß auch auf Funde aus der vorrömischen Eisenzeit (6. Jahrhundert v. Chr.). Das "Dorf" lag strategisch günstig am fließenden Wasser.

Irkens wertvollster Fund: Reste wahrer "Prachtexemplare slawischer Keramik, die recht hochwertig ist, sie wurde nicht mehr mit der Hand aus einem Klumpen geformt, sondern auf Töpferscheiben gedreht.

Im Winter sind die Archäologen mit der Auswertung ihrer Arbeit beschäftigt. Im Frühjahr zieht die "Karawane" weiter - immer von den Autobahnbauern verfolgt. Sind sie mit den bisherigen Funden zufrieden? "Der Aufwand hat sich absolut gelohnt", sagen sie einmütig.