Innenminister Klaus Schlie im Abendblatt-Interview: NPD schwächelt, Aktionsgruppen sind stärker geworden

Norderstedt/Kiel. Mit 17 trat er in die Junge Union ein, mit 18 in die CDU, 27 Jahre lang war er Kreistagsabgeordneter, seit 15 Jahren ist er Landtagsabgeordneter: Wäre die Nord-CDU ein Apfel, dann säße Klaus Schlie im Kerngehäuse. Der Möllner hat sich tief hineingefressen in diese Partei, die ihn erst zum Staatssekretär für Entbürokratisierung, dann zum Innenminister gemacht hat. Auch nach der Landtagswahl im Mai, die möglicherweise zu einem Regierungswechsel führt, wird er der Landespolitik wohl weiter erhalten bleiben. In seinem Heimatwahlkreis Lauenburg-Nord kandidiert der 57-Jährige erneut - und hat gute Siegchancen.

Hamburger Abendblatt:

Welche Erkenntnisse haben Sie über rechtsextreme Gruppierungen im nördlichen Umland von Hamburg?

Klaus Schlie:

Wir haben durch die Arbeit unseres Verfassungsschutzes seit Jahren einen guten Überblick. Die NPD schwächelt, die Partei hat immer weniger Mitglieder. Die sogenannten Kameradschaften, die sich auch Aktionsgruppen nennen, sind in den vergangenen Jahren stärker geworden. Die NPD hat landesweit 230 Mitglieder, die Kameradschaften haben mehr als 1330. Um in dieser Szene an Informationen zu kommen, brauchen wir unbedingt V-Leute.

Wie viele V-Leute setzt der Verfassungsschutz Schleswig-Holstein zurzeit in der Szene ein?

Schlie:

Nächste Frage.

Sind es zehn, sind es mehr?

Schlie:

Da bekommen Sie keine Auskunft. Allerdings können wir recht genau einordnen, wer was tut. Ich kann garantieren, dass wir nicht den Überblick über unsere V-Leute verlieren.

Wie stark ist die rechtsextremistische Szene in Stormarn, Pinneberg und Norderstedt?

Schlie:

In Stormarn hat sich eine Gruppierung von Rechtsextremen im zweiten Halbjahr 2011 fester strukturiert. Das sind Leute, die sich als Autonome Nationalisten Stormarn bezeichnen. Dazu zählen etwa 30 Personen. Zehn von ihnen bilden den harten Kern. Das ist eine nicht zu vernachlässigende Größe. Nach unseren Kenntnissen kommt es immer wieder einmal vor, dass aus solchen Gruppierungen heraus Straftaten verübt werden. Allerdings ist in Stormarn die Tendenz erkennbar, dass die Zahl rechtsextremistischer Aktionen abnimmt.

Sind unter den Autonomen Nationalisten Stormarn auch gewaltbereite Rechtsextreme?

Schlie:

Gewaltbereitschaft ist vom Grunde her nicht auszuschließen. Aber das gilt für alle diese rechtsextremistischen Gruppen.

Wie sieht es in den Kreisen Segeberg und Pinneberg aus?

Schlie:

In Segeberg war die Beteiligung bei den wenigen Aktionen der NPD gering. Im Kreis Pinneberg gehört die NPD zum Bezirksverband Westküste. Der Vorsitzende ist Ingo Stawitz, der im Kreisgebiet wohnt. Gelegentlich organisiert er selbst Veranstaltungen, dabei bekommt er Unterstützung von einer Gruppe namens Jugend Pinneberg. Größere Aktionen der NPD im Hamburger Umland werden meist von der Hamburger NPD gesteuert.

Also ist die rechtsextreme Szene im Nordosten Hamburgs im Vergleich zu anderen Umland-Regionen am stärksten?

Schlie:

Ja. Die Stormarner sind auch diejenigen, die Kontakte zu Rechtsextremen in anderen Bundesländern haben. Im Nordosten Hamburgs kommen noch die Lauenburger hinzu.

Kontakte in andere Bundesländer? Auch zur Zwickauer Zelle?

Schlie:

Nach unserer derzeitigen Erkenntnislage gab es keine strafrechtlich relevanten Kontakte zum sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund. Aber das ist nur eine Momentaufnahme. Noch wird ermittelt. Wir müssen auch definieren, was mit Kontakten gemeint ist. Haben die Mitglieder beider Gruppierungen zum Beispiel gemeinsam Straftaten verabredet? Haben die einen die anderen bei Straftaten unterstützt? Solche Kontakte hat es nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht gegeben. Das schließt nicht aus, dass es Treffen zum Beispiel bei Konzerten rechter Bands oder bei Versammlungen gab.

Wie stehen Sie zu einem NPD-Verbot?

Schlie:

Das Gefahrenpotenzial, das von den Kameradschaften ausgeht, ist derzeit definitiv größer als das der NPD. Da müssen wir bei der Debatte um ein NPD-Verbot sorgsam abwägen. Wenn ein Verbot dazu führt, dass wir Parteimitglieder in die Kameradschaften hineintreiben, haben wir ein Problem. Diese Gruppierungen sind schwieriger zu beobachten als eine Partei.

Sind die Ermittlungsbehörden nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie wachsamer geworden?

Schlie:

Wir haben jetzt eine zentrale Bewertung und Auswertung aller Informationen auf Bundesebene. Das hat es im Bereich Rechtsextremismus bisher nicht gegeben, sondern nur im islamistischen Bereich. Ich kann für unseren Landesverfassungsschutz sagen, dass wir die rechtsextremistische Szene nie aus dem Blick verloren haben. Die Verfassungsschützer in Schleswig-Holstein sind schon ein bisschen verärgert über die aktuelle öffentliche Diskussion. Der Verfassungsschutz in Thüringen hat in Sachen NSU offensichtlich schwere Fehler gemacht. Der in den Medien geäußerte Vorwurf lautet nun, das sei ein Systemfehler aller Verfassungsschutzbehörden in Deutschland. Das ist so nicht richtig. Wir in Schleswig-Holstein haben uns nichts vorzuwerfen. Wir waren nicht auf dem rechten Auge blind.

Wieso kursieren dann aber im Internet Videos mit rassistischem Inhalt - aufgenommen in Lübeck und Stormarn - ohne dass die Behörden das mitbekommen?

Schlie:

Das waren Videos auf dem Internetportal Youtube. Dort gibt es Millionen Videos. Wenn da ein Film strafrechtlich relevante Inhalte hat, fällt das - wie in diesem Fall - nur zufällig auf. Wir können diese riesige Datenmenge nicht systematisch unter die Lupe nehmen, das ist personell nicht zu leisten. Daraus kann man dem Verfassungsschutz keinen Vorwurf machen. Wir appellieren deshalb an alle Bürger, Behörden zu informieren, wenn ihnen im Internet strafrechtlich relevante Inhalte auffallen.

Themenwechsel. Probleme gab es in jüngerer Vergangenheit mit der Regionalleitstelle Südwind in Lübeck. Rund 15 Prozent der Anrufer, die den 110-Notruf wählten, hingen bis zu zwei Minuten in der Warteschleife. Das ist wohl nicht im Sinne des Erfinders?

Schlie:

Da gab es technische und personelle Probleme. Das war so nicht absehbar. Jetzt haben wir aber das Personal aufgestockt.

Eigentlich wollten Sie doch mit der Zusammenlegung der Leitstellen im Land Personal einsparen.

Schlie:

Ursprünglich haben meine Vorgänger damit gerechnet, 86 Stellen einsparen zu können. Heute sind wir jedoch wieder bei der gleichen Personalstärke wie vor der Regionalisierung. Denn mit der neuen Technik gibt es auch viel mehr Arbeitsschritte als zuvor. Beispielsweise können die Disponenten einen Notruf nicht vom Eingangs-PC auf den Dokumentations-PC übertragen. Dies geht aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht. Ich halte diese Regelung für unsinnig. Daran müssen wir arbeiten.

Es gibt noch weitere Probleme beim Notruf. Wer mit dem Handy bei der Leitstelle anruft, hört ein Freizeichen. Jedoch klingelt das Telefon der Disponenten erst nach zehn Sekunden. Wie wollen Sie das abstellen?

Schlie:

Das ist ein Problem des Providers, also der Betreiber von Handynetzen. Ich kann noch nicht sagen, ob es eine Lösung geben wird. Aber wir fordern die Betreiber auf, diesen untragbaren Zustand zu beheben.

Die Polizei selbst macht sich dafür stark, die 4265 Stellen im Land umzuverteilen. Was bedeutet das?

Schlie:

Wir haben eine strategische Lücke bei der Landespolizei: zu wenig Polizisten im operativen Bereich, also im Ermittlungs- und Streifendienst. Ein Problem, dass wir seit mindestens zehn Jahren kennen. Deswegen habe ich die Entscheidung getroffen, das Polizeiorchester aufzulösen und den Tag der Landespolizei abzuschaffen. Denn mit der Planung für diesen Tag der offenen Tür waren das ganze Jahr über bis zu neun Mitarbeiter beschäftigt. Und ich habe die Polizeishow in Kiel und Neumünster abgeschafft. Die Ausbildung von Beamten, die derzeit an drei Stellen im Land stattfindet, soll konzertiert werden, damit wir mit weniger Personal auskommen. Zudem wird die Verteilung der Beamten in Schleswig-Holstein überprüft. Das Endergebnis wird im März vorliegen.

In Stormarn wurde behauptet, die Landesplanungsbehörde führe keine Zielabweichungsverfahren mehr durch, weil die Regionalplanung in Kürze in die Hände der Kommunen gelegt werde.

Schlie:

Natürlich arbeitet die Landesplanungsbehörde, noch ist die Kommunalisierung nicht erfolgt. Um es mal ganz deutlich zu sagen: Ich bin schon ziemlich verärgert über den Quatsch, den ich da manchmal hören muss.

Wie kann man diese aufwendigen Planungsprozesse beschleunigen?

Schlie:

Wir werden Regionalplanung in die Verantwortung der Kreise geben. Die entscheiden gemeinsam, in welche Richtung ihre Entwicklung geht. Dann können die Kommunen ihre Gewerbegebiete schnell und zügig selbst auf den Weg bringen. Die Landesplanungsbehörde hat nur noch die Rechtsaufsicht. Ich halte den Vorwurf übrigens auch für falsch, dass es bislang stets zu lange gedauert hat. Die Arbeitskapazität der Landesplanungsbehörde ist begrenzt, und Anträge werden bisweilen nicht entscheidungsreif vorgelegt.

Herr Schlie, wir danken Ihnen für das Gespräch.