Gerhard Hoch, Initiator der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen, schilderte Schülern seine Erlebnisse in der NS-Zeit

Norderstedt. Wie standen die Eltern dazu, dass sie Hitlerjunge waren? Was war ihr schlimmstes Erlebnis? Was bewegt junge Leute, in die NPD zu gehen? Die Schüler fragten und fragten. Sollten sie auch, schließlich gab es Informationen aus erster Hand. Gerhard Hoch, 87, war zu Gast im Geschichtsunterricht am Fachgymnasium an der Moorbekstraße. Der Initiator der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen trat als Zeitzeuge vor die elfte Klasse, um den Schülern zu erzählen, wie er die NS-Zeit erlebt hat. "Ich habe ihn schon mehrfach eingeladen und immer gute Erfahrungen gemacht", sagt Politiklehrer Günter Dieckmann, der mit Hoch befreundet ist.

Auch diesmal klappt das Experiment, hören die Schüler fast vier Stunden zu, sind sie gefesselt von dem kleinen weißhaarigen Mann mit den wachen Augen und dem drahtigen Körper, der seinem Leben eine erstaunliche Kehrtwende verpasste. Der bekennende Hitlerjunge wechselte nach dem Krieg die Seite und klärte die Verbrechen auf, die die Nationalsozialisten auch in seinem Dorf Alveslohe begangen hatten.

"Es gab nichts anderes, ich war alternativlos Hitlerjunge und Nazi geworden", sagte Hoch. Schon der Vater bekannte sich zu Hitler und seinen Schergen, im Bücherregal gab es nur zwei Sorten Literatur: das Gesangbuch und Bücher, die das deutsche Soldatentum verherrlichten. Die Texte faszinierten den pubertierenden Jungen auf der Suche nach Lebenszielen und Idolen. "Wir haben mit den Mädchen Lieder eingeübt. Und wenn wir aufgetreten sind, war der Saal voll. Das Üben und die Auftritte hatten eine hohe Anziehungskraft in einem Dorf, wo es sonst nichts gab", sagte der Senior.

Und wenn die Jugendlichen ihre Lieder vom Krieg sangen, vom Sterben fürs Vaterland und von der Glorifizierung des Todes, dann glänzten die Augen der Mütter. Sie waren von der Massenpsychose genauso erfasst wie ihre Söhne und Töchter. "Im Nachhinein kann ich nur sagen, dass es doch pervers ist, jungen Menschen mit solchen Liedern zu kommen", sagt Hoch. "Haben sie sich auch mal geschämt?", will eine Schülerin wissen. "Nein, ich hatte nie Zweifel. Ich bin damit aufgewachsen und war so überzeugt, dass ich am Krieg teilnehmen wollte", sagte Hoch.

Auf die Frage nach dem schlimmsten Erlebnis zögert der Gast. Und berichtet dann doch von dem Russen, den er getötet hat. Er habe geschossen, weil er dachte, dass der Feind sonst ihn erschießen wird. "Wenn man an der Front ist, ist das Töten ganz leicht, weil man in Panik ist, in ständiger Angst, selbst sterben zu müssen", sagt der Zeitzeuge. "Doch hinterher wird man sich bewusst, und dieses Erlebnis hat schlimmste Narben in meinem Gedächtnis hinterlassen."

Als besondere Schmach empfand der Soldat die Gefangenschaft. Er hatte sich mit einigen Kameraden in einem Herrenhaus eingenistet. Im Keller versteckten sich katholische Frauen, die mehrfach nach oben kamen und die Soldaten aufforderten, sich endlich zu ergeben. Schließlich brachten sie den Kämpfern eine Stange, an die sie ein weißes Tuch gebunden hatten. Hoch sah ein, wie aussichtslos weiterer Widerstand wäre und marschierte nach draußen. "Das war eine doppelte Niederlage für mich. Frauen zwangen mich zur Kapitulation, und ich, der stolze Hitlerjunge, musste in Kriegsgefangenschaft", erinnerte sich Gerhard Hoch. Diese Erfahrungen seien niederschmetternd und heilsam zugleich gewesen.

Die Gefangenschaft führte den Alvesloher nach Louisiana. Im Süden der USA wollte er bleiben, da verwandelte sich die Begeisterung für das Dritte Reich endgültig in Wut, Wut darüber, was Hitler und sein Krieg den Menschen angetan hatten. "Was hatte sich verändert, als sie nach Alveslohe zurückkamen?", lautete eine weitere Frage. In den Köpfen der Älteren nicht viel, sagt der Gast. Wie die meisten war sein Vater noch immer Nazi. Schon 1930 war er in die NSDAP eingetreten, fast alle Bauern hatten das Parteibuch.

"Und nun musste er mit ansehen, wie Polen in unsere Häuser einzogen, Pollacken, wie er sie nannte", sagte Hoch, der vor fünf Jahren von der Universität Flensburg mit der Ehrendoktorwürde für sein zeithistorisches Lebenswerk und sein pädagogisches Engagement ausgezeichnet wurde. Und dann habe sich seine Schwester auch in einen polnischen Offizier verliebt. Als sie sich mit ihm verlobte, hat sie der Vater verstoßen. Wenig später ging auch Gerhard Hoch, aus Einsicht und Erkenntnis. Sein Vater war Maler, und der Sohn half ihm bei der Arbeit. "Aber er fluchte immer wieder über die Pollacken. Da habe ich irgendwann erkannt, dass hier nur Platz für einen von uns ist", sagt der engagierte Aufklärer.

"Was bewegt junge Leute, Mitglied der NPD zu werden?", wollte eine Schülerin wissen. Da könne er nur spekulieren, antwortet Hoch. Viele junge Menschen haben innerlich nie richtig erfahren und erfasst, was Nationalsozialismus bedeutet. Und es könne die Suche Gemeinschaft sein, nach klar formulierten Zielen und einfachen Lebensweisheiten, die junge Leute in die rechtsextreme Szene treibt.

Ob er denn die Zeit als Hitlerjunge und die Erlebnisse im Krieg verdrängt hat, wollten die künftigen Abiturienten noch wissen. "Bei bestimmten Ereignissen kommen die Erinnerungen immer wieder hoch, aber ich habe gelernt, damit umzugehen", sagte der Gast. Die Schüler bedankten sich mit Applaus und einem kleinen Geschenk für den lebendigen Geschichtsunterricht.