Zwei Monate lang liest Wolfgang Dellke die Texte für die “Lange Lesenacht“ zum Welttag des Buches, stellt sich vor, wer sie bei der Lesenacht rezitieren könnte. So auch bei der Lesenacht zur Literatur in der Weimarer Republik, die von der Stadtbücherei, der Buchhandlung am Rathaus in der Stadtbücherei und der Gleichstellungsstelle veranstaltet wurde.

Norderstedt. "Wenn ich die Texte lese, höre ich oft die Stimmen der Vorleser, und dann weiß ich, dass ich mit der Auswahl richtig liege", sagt Dellke. Der Buchhändler der Buchhandlung am Rathaus wird bei der langen Lesenacht, die wieder von 18 Uhr bis 1 Uhr dauerte, zum Moderator. Kenntnisreich spricht Dellke über Autoren und Dichter, über Texte und Inhalte. "Bei Marieluise Fleißers schwierig zu lesender 'Stunde einer Magd' habe ich beispielsweise Christa Heise-Batt gehört und bei Mascha Kaléko unsere Rathausputze Inka Hahn", sagt Dellke.

Still war es, als Heise-Batt, Autorin und Norderstedts erste Kulturpreisträgerin, die beklemmende Geschichte der Magd las und sich ganz auf die Erzählweise der vom Dienstherrn verführten Frau einstellte. Für Inka Hahn sind die Kaléko-Texte ein Selbstgänger. Sie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den tragikomischen Versen der jüdischen Dichterin. Ohnehin hatte Dellke für Hahn (zu)viele Gedichte ausgesucht, und nicht alle gelangen so wie die Kaléko-Verse.

Mit melodiöser Erzählweise gestaltete Ilse Becker einen Text von Ödön von Horvath. Sensibel zeichnete sie die Charaktere der handelnden Personen. Engagiert, mit viel Witz, Ironie und einer guten Dosis Berliner Slang schmückte Inge Kile ein Stück aus "Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun. Kile kommt jedes Jahr aus Stuttgart zur Norderstedter Lesenacht.

Gelernt ist gelernt mit Pastor Joachim Tegtmeyer, der einen Auszug aus Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" in bester Sprechkultur anrührend las. Beim Klabund legte er etwas zuviel Dramatik ins Gedicht. Krimi-Autorin Ingrid Weißmann las schnell, aber mit lockerem Witz.